Islam: Unterschied zwischen den Versionen
Klaus (Diskussion | Beiträge) K (Textersetzung - „BÄK“ durch „BÄK“) |
Klaus (Diskussion | Beiträge) Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
=== Der | == Islam international == | ||
=== Der Hirntod === | |||
Martin Kellner nennt aus islamischer Sicht als Argumente gegen das Hirntodkonzept:<ref>Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 237f.</ref> | |||
# Die Rückkehr ins autonome Leben sei zwar medizinisch nicht zu erwarten, aber auch nicht völlig unverstellbar. | |||
# Es bestünde die theoretische Möglichkeit einer fehlerhaften Diagnose durch einen technischen Defekt der untersuchenden Geräte. | |||
# Es gäbe Zweifel an der Irreversibilität des Hirntodes. | |||
# Weder unter den Ärzten noch unter den Rechtsgelehrten herrsche Konsens über die Gültigkeit des Hirntodkonzeptes. | |||
# In der sunnitischen Rechtsmethodologie gilt die Regel: „Sicherheit wird nicht durch Zweifel aufgehoben.“ | |||
# Angesichts der Sensibilität des Themas sei es aus sozialen Erwägungen richtiger, mit der Todesfeststellung bis zum Herzstillstand zu warten. | |||
Martin Kellner nennt aus islamischer Sicht als Argumente für das Hirntodkonzept:<ref>Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 236.</ref> | |||
# Der Tod als metaphysisches Ereignis sei in Anlegung an die Medizin aus theologischer Sicht zu definieren. | |||
# Der Tod des Gehirns stellt einen unwiderruflichen Bewusstseinsverlust dar, was den Tod des Individuums bedeutet. | |||
# Eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit ist in der islamischen Jurisprudenz als gleichwertig zu gesichertem Wissen zu betrachten. | |||
# Das islamische Konzept der Embryologie verdeutlicht die notwendige Unterscheidung zwischen biologischem und menschlichem Leben: Bereits in den ersten Wochen der Schwangerschaft ist der Herzschlag des Kindes nachweisbar, während – nach islamischer Theologie die Einhauchung der Seele erst ab dem 120. Tag geschehe und erst ab dann als Mensch gilt. | |||
=== Die Organspende === | |||
1989 vertrat ein ägyptischer Koranexeget die Auffassung, dass Organtransplantation nach den Prinzipien des islamischen Rechts unzulässig seien. Das Hauptargument war, dass der Mensch seinen Körper nicht besitze, sondern dieser nur eine Leihgabe Gottes sei, und somit sei es unmöglich, etwas zu spenden, was einem nicht gehöre.<ref>Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation. Islamische Primärtexte im Kontext medizinischer Prognosen. In: Stephan M. Probst (Hg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 225.</ref> | |||
In muslimischen Ländern wird um Hirntod und Organspende die „religionsrechtliche Diskussion ... nicht nur auf rein hypothetischen Fragestellungen aufgebaut ..., sondern von praktischer Relevanz getragen ... So wurde beispielsweise im Jahr 1988 die erst in Saudi-Arabien durchgeführte Herztransplantation medial gefeiert (...) und in zahlreichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gibt es heute mehr oder weniger stabile Transplantationsprogramme“.<ref>Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 225.</ref> | |||
Martin Kellner gibt aus islamischer Sicht als Hauptargument gegen die Organtransplantation an:<ref>Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 230f.</ref> | |||
# Das fehlende Verfügungsrecht über den eigenen Körper. | |||
# Die Würde des menschlichen Körpers (Leichnam) und sein Recht auf Unverletzbarkeit. | |||
# Das Wort Mohammeds: „Das Brechen der Knochen eines Toten ist so wie das Brechen der Knochen eines Lebendigen.“ | |||
# Die Pflicht zur raschen Beerdigung mache eine Organentnahme unmöglich. | |||
Martin Kellner gibt aus islamischer Sicht als Hauptargumente für die Organspende an:<ref>Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 232f.</ref> | |||
# Das Bewahren von Leben gilt als übergeordnetes Rechtsgut: „Wer ein Leben rettet ist so, als hätte er die gesamte Menschheit gerettet.“ (Koran 5,32) | |||
# Die Behandlung von Krankheiten ist eine religiöse Pflicht: „Lasst euch behandeln, denn Gott hat keine Krankheit gegeben, ohne ein Heilmittel zu schicken.“ | |||
M. Zouhair Safar Al-Halabi nennt für die Organspende mehrere islamische Hintergründe:<ref>M. Zouhair Safar Al-Halabi: Organ- und Gewebespende aus islamischer Sicht. In: Stephan M. Probst (Hg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 245-247.</ref> | |||
# Die Würde des Menschen leitet sich aus dem Koran 17,70 ab: „und wir haben den Kindern Adams Ehre erwiesen“. | |||
# Der Schutz des Lebens wird an Koran 5,32 deutlich: „Und wenn ihn jemand erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhalten hätte.“ | |||
# Nach Koran 59,9 – „und sie ziehen (sie) sich selbst vor, auch wenn sie selbst Mangel erlitten. Und diejenigen, die vor ihrer eigenen Habsucht bewahrt bleiben, das sind diejenigen, denen es wohl ergeht“ – ist Organspende ein wichtiges Zeichen für menschliche Solidarität und Nächstenliebe. | |||
# Ein wichtiger Grundsatz der islamischen Lehre lautet: „Alles, was nicht ausdrücklich verboten wurde, gilt als erlaubt.“ | |||
# Für Muslime sind Religion und Vernunft keine entgegengesetzte Pole. In Bezug auf islamische Quellen wird die Vernunft angewandt, um aktuelle Fragen zu klären. | |||
# Risiken für Spender und Empfänger müssen gegeneinander abgewogen werden. Der islamische Grundsatz lautet: „Die Abwendung von Schäden hat Vorrang vor der Suche nach dem Nutzen.“ | |||
# Organspende kann in den Rahmen der allgemeinen Rechtssprechung fallen, „Notwendigkeit macht unerlaubtes erlaubt“. Somit darf die Organspende nur die letzte Wahl der Behandlung sein, wenn alle andere Optionen nicht mehr helfen. | |||
== Islam in Deutschland == | |||
=== Der Hirntod === | |||
Der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zentralrat_der_Muslime_in_Deutschland Zentralrat der Muslime in Deutschland] schrieb in seiner "Stellungnahme bei der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages am 28.06.1995 zu den Themen Hirntod und Organverpflanzung" über den Hirntod: <ref>http://www.islam.de/2581_print.php Zugriff am 7.4.2014.</ref> | Der [http://de.wikipedia.org/wiki/Zentralrat_der_Muslime_in_Deutschland Zentralrat der Muslime in Deutschland] schrieb in seiner "Stellungnahme bei der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages am 28.06.1995 zu den Themen Hirntod und Organverpflanzung" über den Hirntod: <ref>http://www.islam.de/2581_print.php Zugriff am 7.4.2014.</ref> | ||
{{Zitat|1. Die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der [[BÄK]] vom 9. April 1982 und die darin enthaltenen Kriterien zur Feststellung des Todes stimmen im Grundsatz mit der o.g. Definition des Todes überein, die auch von uns vertreten wird.<br> | {{Zitat|1. Die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der [[BÄK]] vom 9. April 1982 und die darin enthaltenen Kriterien zur Feststellung des Todes stimmen im Grundsatz mit der o.g. Definition des Todes überein, die auch von uns vertreten wird.<br> |
Version vom 3. Oktober 2020, 18:19 Uhr
Islam international
Der Hirntod
Martin Kellner nennt aus islamischer Sicht als Argumente gegen das Hirntodkonzept:[1]
- Die Rückkehr ins autonome Leben sei zwar medizinisch nicht zu erwarten, aber auch nicht völlig unverstellbar.
- Es bestünde die theoretische Möglichkeit einer fehlerhaften Diagnose durch einen technischen Defekt der untersuchenden Geräte.
- Es gäbe Zweifel an der Irreversibilität des Hirntodes.
- Weder unter den Ärzten noch unter den Rechtsgelehrten herrsche Konsens über die Gültigkeit des Hirntodkonzeptes.
- In der sunnitischen Rechtsmethodologie gilt die Regel: „Sicherheit wird nicht durch Zweifel aufgehoben.“
- Angesichts der Sensibilität des Themas sei es aus sozialen Erwägungen richtiger, mit der Todesfeststellung bis zum Herzstillstand zu warten.
Martin Kellner nennt aus islamischer Sicht als Argumente für das Hirntodkonzept:[2]
- Der Tod als metaphysisches Ereignis sei in Anlegung an die Medizin aus theologischer Sicht zu definieren.
- Der Tod des Gehirns stellt einen unwiderruflichen Bewusstseinsverlust dar, was den Tod des Individuums bedeutet.
- Eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit ist in der islamischen Jurisprudenz als gleichwertig zu gesichertem Wissen zu betrachten.
- Das islamische Konzept der Embryologie verdeutlicht die notwendige Unterscheidung zwischen biologischem und menschlichem Leben: Bereits in den ersten Wochen der Schwangerschaft ist der Herzschlag des Kindes nachweisbar, während – nach islamischer Theologie die Einhauchung der Seele erst ab dem 120. Tag geschehe und erst ab dann als Mensch gilt.
Die Organspende
1989 vertrat ein ägyptischer Koranexeget die Auffassung, dass Organtransplantation nach den Prinzipien des islamischen Rechts unzulässig seien. Das Hauptargument war, dass der Mensch seinen Körper nicht besitze, sondern dieser nur eine Leihgabe Gottes sei, und somit sei es unmöglich, etwas zu spenden, was einem nicht gehöre.[3]
In muslimischen Ländern wird um Hirntod und Organspende die „religionsrechtliche Diskussion ... nicht nur auf rein hypothetischen Fragestellungen aufgebaut ..., sondern von praktischer Relevanz getragen ... So wurde beispielsweise im Jahr 1988 die erst in Saudi-Arabien durchgeführte Herztransplantation medial gefeiert (...) und in zahlreichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gibt es heute mehr oder weniger stabile Transplantationsprogramme“.[4]
Martin Kellner gibt aus islamischer Sicht als Hauptargument gegen die Organtransplantation an:[5]
- Das fehlende Verfügungsrecht über den eigenen Körper.
- Die Würde des menschlichen Körpers (Leichnam) und sein Recht auf Unverletzbarkeit.
- Das Wort Mohammeds: „Das Brechen der Knochen eines Toten ist so wie das Brechen der Knochen eines Lebendigen.“
- Die Pflicht zur raschen Beerdigung mache eine Organentnahme unmöglich.
Martin Kellner gibt aus islamischer Sicht als Hauptargumente für die Organspende an:[6]
- Das Bewahren von Leben gilt als übergeordnetes Rechtsgut: „Wer ein Leben rettet ist so, als hätte er die gesamte Menschheit gerettet.“ (Koran 5,32)
- Die Behandlung von Krankheiten ist eine religiöse Pflicht: „Lasst euch behandeln, denn Gott hat keine Krankheit gegeben, ohne ein Heilmittel zu schicken.“
M. Zouhair Safar Al-Halabi nennt für die Organspende mehrere islamische Hintergründe:[7]
- Die Würde des Menschen leitet sich aus dem Koran 17,70 ab: „und wir haben den Kindern Adams Ehre erwiesen“.
- Der Schutz des Lebens wird an Koran 5,32 deutlich: „Und wenn ihn jemand erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhalten hätte.“
- Nach Koran 59,9 – „und sie ziehen (sie) sich selbst vor, auch wenn sie selbst Mangel erlitten. Und diejenigen, die vor ihrer eigenen Habsucht bewahrt bleiben, das sind diejenigen, denen es wohl ergeht“ – ist Organspende ein wichtiges Zeichen für menschliche Solidarität und Nächstenliebe.
- Ein wichtiger Grundsatz der islamischen Lehre lautet: „Alles, was nicht ausdrücklich verboten wurde, gilt als erlaubt.“
- Für Muslime sind Religion und Vernunft keine entgegengesetzte Pole. In Bezug auf islamische Quellen wird die Vernunft angewandt, um aktuelle Fragen zu klären.
- Risiken für Spender und Empfänger müssen gegeneinander abgewogen werden. Der islamische Grundsatz lautet: „Die Abwendung von Schäden hat Vorrang vor der Suche nach dem Nutzen.“
- Organspende kann in den Rahmen der allgemeinen Rechtssprechung fallen, „Notwendigkeit macht unerlaubtes erlaubt“. Somit darf die Organspende nur die letzte Wahl der Behandlung sein, wenn alle andere Optionen nicht mehr helfen.
Islam in Deutschland
Der Hirntod
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schrieb in seiner "Stellungnahme bei der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages am 28.06.1995 zu den Themen Hirntod und Organverpflanzung" über den Hirntod: [8]
1. Die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der BÄK vom 9. April 1982 und die darin enthaltenen Kriterien zur Feststellung des Todes stimmen im Grundsatz mit der o.g. Definition des Todes überein, die auch von uns vertreten wird. Unserer Einsicht nach sollten beide o.g. Kriterien, nämlich der vollständige irreversible Herz- und Atemstillstand und der irreversible Ausfall der Hirnfunktion, in einem Transplantationsgesetz als Todeskriterien zugrunde gelegt werden. |
Warum sich die Stellungnahme des Jahres 1995 auf die "Kriterien des Hirntods" des Jahres 1982 beziehen und nicht auf die des Jahres 1986 oder gar 1991, ist unklar. Inhaltlich hat sich zur Feststellung des Hirntods in diesen Jahren kaum was verändert.
Die Organspende
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schrieb in seiner "Stellungnahme bei der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages am 28.06.1995 zu den Themen Hirntod und Organverpflanzung" über Organspende: [9]
1. Die Entnahme eines Organs aus dem Körper eines Menschen und seine Verpflanzung in den Körper eines anderen Menschen ist eine erlaubte lobenswerte Handlung und wohltätige Hilfeleistung, die unter Berücksichtigung folgender Einzelheiten den islamischen Vorschriften und der Menschenwürde nicht widerspricht. 2. Die Organverpflanzung muß die einzig mögliche medizinische Behandlungsmaßnahme für den Empfänger sein. |
Abweichend von den o.g. Vorschriften wird in der schi´itischen Rechtsschule folgende Meinung vertreten:
1. Eine Organentnahme von einem toten Muslim ist verboten. Sie darf nur erfolgen, wenn sie für die Lebenserhaltung eines anderen Muslims notwendig ist. 2. Dem Muslim ist der Empfang von Organspenden von anderen muslimischen oder nicht-muslimischen Spendern, sowie die Verwendung von tierischem und technischem Material als Implantate erlaubt. |
Anhang
Anmerkungen
Einzelnachweise
- ↑ Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 237f.
- ↑ Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 236.
- ↑ Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation. Islamische Primärtexte im Kontext medizinischer Prognosen. In: Stephan M. Probst (Hg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 225.
- ↑ Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 225.
- ↑ Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 230f.
- ↑ Martin Kellner: Ethisch-rechtliche Fragestellungen zur Organtransplantation, 232f.
- ↑ M. Zouhair Safar Al-Halabi: Organ- und Gewebespende aus islamischer Sicht. In: Stephan M. Probst (Hg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 245-247.
- ↑ http://www.islam.de/2581_print.php Zugriff am 7.4.2014.
- ↑ http://www.islam.de/2581_print.php Zugriff am 7.4.2014.