TX durch PV

Aus Organspende-Wiki
Version vom 26. April 2023, 06:54 Uhr von Klaus (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Zweck und Folgen der PV

Im Jahr 2009 trat das Patientenverfügungsgesetz (PatVG) in Kraft. Es wurde in das BGB eingearbeitet.

Das PatVG gibt der Patientenverfügung (PV) Rechtssicherheit. Damit muss eine einmal verfasste PV nicht alle paar Jahre erneuert werden, um gültig zu bleiben. Der behandelnde Arzt ist an die in der PV niedergeschriebenen Wünsche zur Therapiebegrenzung bzw. Therapiebeendigung gebunden.

Die Folgen der PV für die Organtransplantation TX ist, dass bei schweren Hirnverletztungen mit aussichtsloser Prognose entsprechend der PV die Therapie beendet wird, bevor der Hirntod eintritt. Damit können diese Patienten keine Organspender werden, auch wenn eine schriftliche Zustimmung zur Organspende vorliegt.
Die Folge lässt sich deutlich am Rückgang der potentiellen Organspender[Anm. 1] ablesen:[Anm. 2] In den Jahren 2004 bis 2010 war ihre Anzahl immer über 1.800. Im Jahr 2011 sank sie auf 1.799. und bis zum Jahr 2017 kontinuierlich auf 1.178 ab.
(Quelle: DSO-Jahresberichte) - Siehe: Entscheidung

Entscheidung 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
Potenziell[1] 1.868 2.090 1.865 1.963 1.866 1.888 1.876 1.799 1.584 1.370 1.339 1.317 1.248 1.178 1.416 1.371
Ja-Anteil 67,7 66,9 64,2 64,5 69,1 66,7 66,0 63,9 68,8 70,3 68,7 73,3 67,4 75,9

Da im Jahr 2012 einige Skandale bekannt wurden, schob man den Rückgang an Organspender einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung zu. Hätte dieser stattgefunden, wäre nach der Feststellung des Hirntodes die Zustimmung zur Organspende zurückgegangen. Diese betrug in den Jahren 2006 bis 2012 zwischen 64,2 und 67,7%. Sie sank 2013 auf 63,9% ab, um dann auf 67,4 bis 75,9% in den nachfolgenden Jahren bis 2019 anzusteigen. Siehe: Entscheidung
Damit ist belegt, dass ab 2014 die Zustimmung zur Organspende höher war, wie die Zustimmung vor dem Jahr 2012. Entgegen dieser Fakten hält sich das Märchen vom Gespenst Vertrauensverlust hartnäckig bis in die Gegenwart hinein, selbst bis zu einzelnen Bundestagsabgeordneten. Siehe: WSR im Bundestag und Vertrauensregelung

Ein Ausweg aus diesem Dilemma wäre, dass man in diesem Fall der Zustimmung der Organspende den Vorrang gibt. Da es aber manchmal nicht sicher ist, ob der Hirntod wirklich erreicht werden kann und man damit gegen die vorliegende PV weitertherapiert hat, wird der PV Vorrang vor der TX geben.
Der begangene Ausweg ist, dass in der PV angegeben wird, dass im Fall eines zu erwartenden Hirntods die intensivmedizinische Behandlung fortgesetzt wird, damit man Organspender werden kann. Oft wird für diese intensivmedizinische Weiterbehandlung eine Frist von mehreren Tagen gesetzt. Wenn bis zu dieser Frist der Hirntod nicht festgestellt werden konnte, soll die Therapie beendet werden.

Situation zum Hirntod

Jährlich sterben in Deutschland rund 1.000.000 Menschen. Nach Schätzungen[Anm. 3] sterben davon 3.000 bis 5.000 den Hirntod.

Aus diesem Pool sind Organspenden möglich. Als Organspender kommen jedoch einige Hirntote nicht in Frage, weil sie eine wichtige Bedingung nicht erfüllen. Sie müssen so gesunde Organe besitzen, dass sie transplantiert werden können. So will man von einem Patienten mit Lungenkrebs, Brustkrebs oder Darmkrebs keine Organe. Auch kommt keine Fettleber in Frage. - Abzüglich dieser Hirntoten bleiben die potentiellen Organspender übrig.

Wie verschiedene medizinische Dissertationen aufzeigen,[2] haben Organe von Hirntoten einen Nachteil: Die Organe sind in Folge des Hirntodes geschädigt. Diese Schädigung hat man bei der Lebendspende nicht.

Von PV zur TX

Angesichts des hier Beschriebenen liegt es nahe, dass man statt einfach nach PV eine Therapie beendet, die Organe entnimmt. Dafür sprechen:

  1. die Schwere der Erkrankung und der in der PV niedergeschriebene Wille des Patienten zwingt zur Beendigung der Therapie
  2. die parallel dazu vorliegende Zustimmung zur Organspende ermöglicht die Organentnahme
  3. damit würden umgangen:
    1. die Schädigung der Organe durch den Hirntod
    2. die Probleme mit DCD
  4. damit könnten erreicht werden:
    1. mehr PV und mehr schriftliche Zustimmungen zur Organspende
    2. mehr Organspender

Denkbare mögliche Einwände können nur aus der Ethik stammen. Hierzu ist zu bedenken:

  • PV und OSA
    Dieser Weg soll nur möglich sein, wenn ein medizinischer Zustand erreicht ist, der gemäß vorliegender PV die Beendigung der Therapie verlangt und eine schriftliche Zustimmung zur Organentnahme vorliegt.
  • Assistierter Suizid
    Das BVerfG entschied im Jahr 2020, dass auch in Deutschland ein gewerbsmäßig assistierter Suizid ermöglicht werden sollte. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzu sind noch nicht beschlossen, aber es wird kommen.
    Wenn also ein gewerbsmäßig assistierter Suizid in Deutschland mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dann sollte eine altruistische Organspende in einem medizinisch wesentlich schlechteren Zustand auch möglich sein.
    Bei dem Thema geht es um das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen (Artikel 2 GG). Bei gleichzeitiger Vorlage von PV und schriftlicher Zusage zur Organspende wäre in diesem Falle eine Organentnahme die konkrete Umsetzung des Patientenwillens.

Anhang

Anmerkungen

  1. Der Hirntod ist festgestellt und es liegen transplantierbare Organe vor.
  2. Der Rückgang hat auch andere Gründe, wie z.B. bessere Therapien, doch diese können schwerlich zur Halbierung der Anzahl der potentiellen Organspender binnen 5 Jahren geführt haben. Dass der Rückgang der potentiellen Organspender ein Jahr nach Einführung des PatVG begann und in den nächsten Jahren immer stärker wurde, ist ein deutlicher Hinweis, dass es sich hier um die Auswirkungen des PatVG handelt.
  3. Zwar wird auf der vom Arzt ausgefüllten Todesbescheinigung mit angegeben, ob jemand den Hirntod gestorben ist, aber diese Angaben werden nicht statistisch ausgewertet, in keinem Bundesland. Daher gibt es hierzu nur Schätzungen.

Einzelnachweise

  1. Die Anzahl der potenzieller Organspender umfasst alle Hirntoten, die mit für eine TX brauchbaren Organen auf der Intensivstation liegen. Die meisten von ihnen werden tatsächlich Organspender. Bei einigen wird die Organspende verweigert. Daneben gibt es noch eine Reihe von Hirntoten, bei denen zwar eine Zustimmung zur Organspende vorgelegen hat, bei denen es jedoch aus verschiedenen Gründen zu keiner Organspende gekommen ist. Die DSO unterscheidet hierbei unter:
    • Abbruch vor oder während der Organentnahme (z.B. Tumorfeststellung)
    • Medizinische Gründe (inkl. Herz-Kreislaufstillstand, ICD-10 I46.9)
    • Sonstiges (Keine Einwilligungsberechtigten, Gespräch nicht zumutbar, keine Freigabe durch den Staatsanwalt)
  2. Zu diesen Dissertationen gehören:
    • Kathrin Blum: Auswirkungen des normo- und hypotensiven Hirntodes auf Makro- und Mikrozirkulation der Leber vor und nach Lebertransplantation. Heidelberg 2005.
      "Eine Erhöhung der Fallzahlen könnte die These eines durch den Spenderhirntod verstärkten Präkonservierungsschadens untermauern." (Seite 55)
      "Das Wissen um die schon durch den Spenderhirntod beeinträchtigte Organfunktion erfordert eine suffiziente Intensivbehandlung bis zur Organexplantation." (Seite 88)
      "Der _Spenderhirntod beinhaltet gravierende Beeinträchtigungen des kardiozirkulatorischen-, hormonellen--, metabolischen- und des autonomen Nervensystems und wird mit einer Verschlechterung der Transplantatfunktion in Verbindung gebracht." (Seite 89)
    • Katja Kotsch: Diagnostik und Therapie der Transplantatqualität. Berlin 2008. (Habil.)
      "Die Charakterisierung der durch den Ischämie-/Reperfusionsschaden und den Spenderhirntod verursachten Veränderungen ermöglichen in Zukunft eine gezielte therapeutischen Intervention zur Verbesserung der Transplantatqualität und somit des Transplantationsergebnisses." (Seite 34)
    • Paul Ritschl: Organ Specific Immunological Consequences Following Brain Death – Impact on Donor Graft Quality. Innsbruck 2015.
      "Der Spenderhirntod (BD) führt durch komplexe pathophysiologischen Veränderungen zu einer Verschlechterung der Transplantatqualität." (Seite 6)
    • Lukas Nickels: Einfluss der Donorpräkonditionierung mit N-Octanoyl-Dopamin auf die akute Abstoßung im allogenen Hirntod-Transplantationsmodell. Mannheim 2015.
      "Im Zusammenwirken vor allem von Spenderhirntod und Ischämie/Reperfusionsschaden kommt es zur gesteigerten Immunogenität der Organe mit Aktivierung proinflammatorischer Zytokine 12 Diese frühe Zytokinaktivierung ist entscheidend für die spätere Entwicklung einer Abstoßungsreaktion. (Seite 52f)
    • Stefan Engel: Auswirkung von nichtimmunologischen Spenderfaktoren auf das Transplantat- und Patientenüberleben bei der Nierentransplantation. Berlin 2016.
      "Es zeigte sich jedoch im Bezug auf beide „Outcome-Parameter“ bessere Überlebenswahrscheinlichkeiten wenn der Spendertod nach Trauma eintrat, was den beschriebenen Ergebnissen anderer Studien entspricht." (Seite 71)
    • Paul Ritschl: Solide Organtransplantation – Organvorbehandlung und Organallokation in Zeiten steten Organmangels. Berlin 2021. (Habil.)
      "Allerdings löst der Spenderhirntod auch (unabhängig von den optimaleren Bedingungen bei Lebendspenden) selbst eine Kaskade aus, welche sich negativ auf das spätere Outcome auswirkt." (Seite 6)
      "Die Immunreaktion, welche unter anderem durch den Spendertod, den postischämischen Reperfusionsschaden, wie auch die Initiierung der Abstoßung nach einer Transplantation gestartet wird, ist maßgeblich für den Langzeiterfolg nach der Transplantation." (Seite 15)
      "Wie in der Einleitung beschrieben, führt der Spenderhirntod zu vielen pathophysiologischen Veränderungen, welche in einer schlechteren Organfunktion resultieren, verglichen zu Organen von Lebendspendern." (Seite 92)
    • Juri Aureliano Wagner: Effekte von peri- und postoperativen Komplikationen auf Transplantat- und Empfängerüberleben nach Nierentransplantation. Berlin 2021.
      "Die gefundenen signifikanten Einflussfaktoren auf Transplantat- oder Patientenüberleben dieser o.g. Analysen sind Empfänger-Alter und Geschlecht, eine kardiale Vorerkrankung, Arteriosklerose, Dialysedauer und Glomerulonephritis [65], kalte Ischämiezeit, die Peak-PRA (präformierte Antikörper), drei Mismatches in der HLA-DR Subanalyse [52], die Geschlechterkombination männlicher Empfänger / weibliche Spenderin (EmSw), Anoxie als Spendertodesursache sowie Spenderalter [66]." (Seite 74)