Nele Neuhaus
Vorbemerkungen zu diesen Richtigstellungen: |
Allgemeine Basisinformationen:
- Seit 1997 besitzt Deutschland ein Transplantationsgesetz (TPG).
- Seit 1997 besitzt Deutschland die 3. Fortschreibung der "Richtlinien zur Feststellung des Hirntods" durch die BÄK[Anm. 3]
- Die Handlung des Romans erfolgte ab 2002 und somit 5 Jahre seit Einführung des TPG.
Korrekturen zum Kriminalroman "Die Lebenden und die Toten" von Nele Neuhaus:
Seite | Zitat aus dem Buch | Richtigstellung |
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168 | Meine Frau hat Organtransplantation aus verschiedenen Gründen abgelehnt, sie hatte sogar eine Patientenverfügung, was damals noch ungewöhnlich war. Die Ärzte hätten warten müssen, bis ich zurück war, doch sie hatten es sehr eilig. So eilig, dass man nicht die vorgeschriebene Zeit zwischen den beiden Hirntoduntersuchungen eingehalten hatte. Im Protokoll der Klinik waren die Zeiten gefälscht worden. Außerdem hatten sie mehr Organe entnommen als vorher angegeben. Nicht nur das Herz und die Nieren, sondern jedes Organ wurde entnommen, sogar die Augen, Knochen, Haut und Gewebe. Aus diesem Grund habe ich später einen Rechtsstreit gegen die Klinik geführt. | Nach Angabe des Romans auf Seite 167 soll sich das im September 2002 ereignet haben. Das war 5 Jahre nach Einführung des TPG im Jahre 1997. Es ist daher unvorstellbar, dass Jahre nach Einführung des TPG in dieser Weise gegen das Recht verstoßen wurde: Wenn nur Herz und Nieren freigegeben wurde, dann haben alle anderen Organe im Körper zu verbleiben. |
168f | Er war der festen Überzeugung, man habe ihn überrumpelt und betrogen, denn er hatte nie eine Einwilligung zur Explantation unterschrieben, lediglich eine Vollmacht zur Behandlung seiner Tochter. | Auf Seite 168 heißt es hingegen: "Meinen Schwiegereltern ging es kaum besser. Unter dem starken Druck der Ärzte hatten sie einer Organentnahme bei ihrer hirntoten Tochter zugestimmt." Hier stimmt etwas nicht zusammen: Entweder oder! |
198 | Eine Frau wurde eingeliefert, nach einer Hirnblutung und mehreren Stunden ohne Sauerstoffversorgung war sie hirntot. Jede Hilfe kam zu spät. Die Angehörigen gestatteten die Organentnahme, die notwendigen Untersuchungen fanden statt, die Parameter wurden an Eurotransplant gemeldet, und man informierte von dort aus die Patienten, die auf Organe warteten und deren Werte passten. Die hirntote Frau wurde in der Nacht explantiert. | Bei "mehreren Stunden ohne Sauerstoffversorgung" ist man nicht hirntot, sondern tot. Es setzt dann bereits die Totenstarre ein. Totenflecke sind dann sichtbar.[Anm. 4] Wenn die Frau in den frühen Morgenstunden eingeliefert wurde, versuchten die Ärzte zunächst mal ihr Leben zu retten und ihre Gesundheit wieder herzustellen. Um bei bereits vorliegendem Hirntod (von dem noch niemand was weiß) festzustellen, dass hier nichts zu machen ist,[Anm. 5] vergehen etliche Stunden bis ein ganzer Tag. Dann erst wird mit der Hirntoddiagnostik begonnen. Bei primärer Hirnschädigung müssen zwischen 1. und 2. klinischer Diagnostik mind. 12 Stunden liegen, bei sekundärer Hirnschädigung mind. 72 Stunden. - Wenn mit der Angabe "mehreren Stunden ohne Sauerstoffversorgung" ein Ertrinken angenommen werden muss, ist dies eine sekundäre Hirnschädigung. Damit müssen mind. 72 Stunden (= 3 Tage) zwischen 1. und 2. klinischer Diagnostik vergehen. |
254 | Im Krankenhaus teilte man uns mit, Kirsten haben eine Hirnblutung erlitten und sei zu lange ohne ausreichende Sauerstoffversorgung gewesen. | Durch eine massive, zum Hirntod führende Hirnblutung wird das Gehirn nicht "zu lange ohne ausreichenden" Sauerstoff versorgt, sondern nie wieder mit ausreichendem Sauerstoff versorgt.[Anm. 7] |
255 | Man sagte uns klipp und klar, bei Kirsten seien durch die Blutung große Teile des Hirnstamms und des Großhirns irreparabel geschädigt, und begann uns zu bedrängen. Wir sollten die Entscheidung treffen und Kerstins Organs zur Spende freigeben. Es ... es erschien uns wie Mord, sie aufschneiden und ihre Organe herausnehmen zu lassen, denn sie ... sie wirkte so lebendig. | Kenner der Materie erkennen hierin Worte von Renate Greinert. - Wenn Organspende Mord ist, dann ist es auch das Abschalten der künstlichen Beatmung nach Feststellung des Todes. Dies erfolgt jahrlich bei rund 4.000 der 5.000 Hirntoten in Deutschland. Nur bei rund 1.000 erfolgt die Organentnahme. - Außerdem wäre jedes Verfahren nach Patientenverfügung auch Mord.[Anm. 8] |
255 | Wir baten, auf Dirk zu warten, aber die Ärzte drängten immer mehr. Sie setzten uns moralisch unter Druck, erzählten uns von Patienten, denen geholfen werden könnte. Sie scheuten vor nichts zurück.[Anm. 9] | Der Hinweis[Anm. 10] im gleichen Absatz macht deutlich, dass der Hirntod bereits festgestellt wurde. Damit zahlt die Krankenkasse keine Weiterbehandlung, da für einen Toten jede Behandlung unnötig ist. Daher kann durchaus bei den Hinterbliebenen der Eindruck entstehen, dass gedrängt wird. - Den Ärzten geht es um den Erhalt der Organe, damit anderes Menschenleben gerettet werden kann, wenn dieses Menschenleben in den Hirntod verstorben ist. |
256 | Noch in der Nacht hatten sie unserem Kind alles entnommen, was möglich war, sogar ... sogar die Augen und Knochen! Sie war regelrecht ausgeweidet worden. | Auch hier schimmern die Worte von [[Kritiker|Renate Greinert] durch, deren 15-jähriger Sohn Christian 1985 nach einem Verkehrsunfall in den Hirntod starb und dieses erlebte.[1] |
265 | Man hatte ihr die leeren Augenhöhlen zugeklebt ... Und sie sah aus, als hätte sie furchtbare Schmerzen erlitten. Wir hätten uns für sie einen friedvollen Tod gewünscht, ein Einschlafen im Kreis der Familie nach dem Abschalten der lebenserhaltenden Maßnahmen, aber das war ihr nicht vergönnt gewesen." | Hier Worte Worte von [[Kritiker|Renate Focke]. Ihr 28-jähriger Sohn Arnd durch einen Verkehrsunfall in den Hirntod starb.[2] - Durch den unerschrockenen Einsatz von Renate Greinert steht im TPG in § 6 Abs. 2: "Der Leichnam des Organ- oder Gewebespenders muss in würdigem Zustand zur Bestattung übergeben werden. Zuvor ist dem nächsten Angehörigen Gelegenheit zu geben, den Leichnam zu sehen." - Damit ist das, was Renate Greinert erfahren musste seit 1997 in Deutschland nicht mehr möglich. |
257 | Mitzuerleben, wie der geliebte Mensch von den Ärzten plötzlich nicht mehr als Mensch, als Sterbender betrachtet wird, sondern nur noch als ... als Material, als ein Ersatzteillager, das ist das Schlimmste, was man erleben kann. | Auch hier schimmern die Worte von [[Kritiker|Renate Greinert] durch: "Der Mensch ist kein Ersatzteillager"[3] |
267 | Sie landete auf der Webseite von HAMO, das ist die Abkürzung für Hilfe für Angehörige von Mordopfer der Organmaffia war. | Die große Parallele zu http://www.initiative-kao.de, der Internetseite "Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V.". Sie stellen sich vor als: "Wir sind eine Initiative von Eltern, die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne die Hintergründe zu diesem Zeitpunkt genau genug zu kennen."[4] |
Fazit:
Nele Neuhaus hat sich höchst unzureichend mit den medizinischen Fakten um Hirntod und den Ablauf der Organtransplantation beschäftigt bzw. sich dabei schlecht beraten lassen. Die Folge ist, dass die Leserschaft dieses Romans ein Zerrbild zum Thema Hirntod und Organtransplantation erhalten. Daher kann dieser Roman nicht empfohlen werden.
Anhang
Anmerkungen
- ↑ Die Zitation schützt nicht vor der Tatsache, dass Halb- und Unwahrheit verbreitet wird. Daher schützen auch Zitationen von Halb- und Unwahrheiten nicht vor dem Vorwurf der Irreführung.
- ↑ Täuschung ist im deutschen Recht ein Strafbestand, der nach § 236 StGB (Betrug) oder § 146 StGB (Falschgeld) bestraft. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%A4uschung#T.C3.A4uschung_im_Recht Zugriff 12.1.2015.
- ↑ 1997 erfolgte die 3. Fortschreibung der "Richtlinie zur Feststellung des Hirntodes", 1991 erfolgte die 2. Fortschreibung, 1982 wurde erstmals von der BÄK die "Kriterien des Hirntodes" von der BÄK herausgegeben.
- ↑ 10 Sekunden ohne Sauerstoff im Gehirn wird man ohnmächtig. 30 Sekunden ohne Sauerstoff im Gehirn ist kein EEG ableitbar. Über 10 Minuten ohne Sauerstoff im Gehirn droht der Hirntod. Das sind medizinische Fakten.
Leider ist an dieser Stelle nicht näher bezeichnet, wie diese "ohne Sauerstoffversorgung" zustande kam. Angenommen, es wäre der für die Frau günstigste Situation. Dies wäre das Ertrinken, die hier angegebenen Zeiten gelten für ca. 20°C Wassertemperatur: Als geübte Taucherin hätte sie den Atem noch 20 Minuten anhalten können. Dann wäre das Ertrinken erfolgt. Das Herz hätte dann noch höchstens 5 Minuten geschlagen. Damit wäre nach spätesten 25 Minuten das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt worden. Nach insgesamt 35 Minuten hätte der Hirntod gedroht. Nach insgesamt 40 Minuten wäre das Gehirn so schwer geschädigt gewesen, dass trotz sofortiger Reanimation und Hypothermie nur noch der Hirntod festgestellt werden könnte. Nach insgesamt 60 Minuten wäre die Frau nicht mehr reanimierbar gewesen. Nach insgesamt 2 Stunden hätten sich bereits erste Anzeichen von Totenflecken und Totenstarre abgezeichnet. Damit ist der früheste Zeitpunkt von "mehrere Stunden ohne Sauerstoffversorgung" erreicht. - Hier zeigt sich die sachliche Inkompetenz der Autorin zum Sterbeprozess. - ↑ Es müssen erst mal entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden, um zu wissen, was denn Sache ist. Meist werden Patienten eingeliefert mit den Angaben, unter denen sie aufgefunden wurde, in dem hier angenommenen Beispiel als Ertrunkene. Wie lange sie bereits im Wasser lag, vermag man oft nicht sagen. Erst wenn die Ärzte erkennen, der Patient reagiert nicht wie erwartet und er hat Anzeichen, die auf Hirntod hindeuten, beginnt man mit der Hirntoddiagnostik.
- ↑ Im Jahresbericht 2012 der DSO sind auf Seite 19 die Zeiten zwischen Feststellung des Hirntods (= Abschluss der 2. klinischen Diagnostik) und dem Beginn der Organentnahme angegeben: 2,7% kleiner 7 Stunden, 24,8% benötigten 7 bis 12 Stunden, 42,6% benötigten 12 bis 18 Stunden, 15,4% benötigten 18 bis 24 Stunden, 14,5% benötigten mehr als 24 Stunden.
- ↑ Die massive Hirnblutung lässt den Hirndruck auf den sytolischen Wert (oberer Wert des Blutdrucks) ansteigen. Dadurch gibt es keinen Druckunterschied, der das Blut durch das Gehirn pumpen könnte. Die Gehirnzellen sterben ab.
- ↑ Patientenverfügungen (PV) werden meist erstellt, damit die Ärzte nicht durch (intensiv-)medizinische Maßnahmen unnötig einen Sterbeprozess hinauszögern. Manchmal ist auch die Beendigung der Therapie bei zu erwartetem (schweren) Pflegefall gewünscht. Dies alles ist - im Vergleich zu einem Hirntoten - weitaus mehr "Leben", mitunter sogar mit Bewusstsein, was damit beendet wird. - Warum soll dann es beim Hirntod Mordsein und bei der PV nicht?
- ↑ Auch hier scheinen Worte von Renate Greinert durch.
- ↑ "Die intensivmedizinischen Maßnahmen zielten nur noch darauf ab, ihre Organe funktionsfähig zu erhalten." Damit ist klar, dass der Hirntod bereits mit der 2. klinischen Diagnostik festgestellt wurde. Nach Feststellung des Hirntods erfolgt das Abschalten der künstlichen Beatmung (dies führt binnen weniger Minuten zum Herzstillstand) oder zur etwa 16 Stunden später erfolgende Organentnahme.
Einzelnachweise
- ↑ Renate Greinert: Unversehrt sterben!. Darin heißt es: "Aber das erkannte ich erst, als ich meinen Sohn dort tot und ausgeweidet liegen sah. Wir hatten nicht ein Organ gespendet, nein, wir hatten Christian geopfert."
- ↑ Renate Focke: Operation Explantation: ein unbarmherziger Tod. In: KAO (Hg.): Organspende - die verschwiegene Seite (Quelle: http://www.initiative-kao.de/kao-organspende-die-verschwiegene-seite-2011.pdf Zugriff am 27.12.2014.): "Ich sehe ihn wieder vor mir, aufgebahrt im Sarg, sein Mund klein und verkrampft. Er hatte keinen friedvollen, gelösten oder ernsten Gesichtsausdruck wie andere Tote, die ich gesehen habe, sondern sah aus, als wäre er unter Schmerzen gestorben." Dies ist subjektives Empfinden. Objektiv kann kein Hirntoter in D/A/CH Schmerzen empfinden. Siehe: Schmerzwahrnehmung.
- ↑ http://www.initiative-kao.de/renate-greinert-buchvorschau.pdf
- ↑ http://www.initiative-kao.de/kao-ueber-uns.html Zugriff am 27.12.2014.