Vladimir Negovsky

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Vladimir A. Negovsky[Anm. 1] (1909-2003) war ein russischer Reanimationsforscher. Seine zentrale Frage lautete: Bis zu welcher Grenze ist Reanimation möglich? Jenseits dieser Grenze ist der Tod. Er entwickelte in den 1950er Jahren das Konzept des „biologischen Todes“, wie er ihn nannte. Dabei ging er davon aus, dass der Mensch als tot anzusehen ist, wenn sein Gehirn nicht mehr arbeitet. Die US-amerikanerin Judith Hockaday hatte dieses Konzept übernommen. Drei Mitarbeiter ihrer Forschergruppe präsentierten 1962 auf einem Kongress der EEG-Gesellschaft ein begrifflich ausgereiftes hinbezogenes Todeskonzept. Dabei wurde davon gesprochen, dass das Erlöschen der Hirnfunktionen als Zeichen des Todes zu verstehen sei.

Sein Forschen beschrieb er so: "Es geht darum, Mittel und Wege zu finden, um die Periode des klinischen Todes, in der eine Wiederbelebung noch möglich ist, auszudehnen."[1]

Negovsky unterschied aufgrund seiner Reanimationsstudien zwischen dem klinischen Tod (Stillstand von Puls und Atmung) und dem biologischen Tod.[2] (6) Seit 1952 fand unter Leitung von V.A. Negovsky regelmäßig internationale Konferenzen und Symposien zu aktuellen Themen der Reanimation statt. Negovsky veröffentlichte über 400 wissenschaftliche Arbeiten, über 100 Werke wurden im Ausland veröffentlicht. (8) Die ganze Geschichte der modernen klinischen und experimentellen Reanimation schöpft aus den Werken von Negovsky. (10)

Im Jahr 1962 wurde von V.A. Negovsky in New York in englischer Sprache der Artikel "Resuscitation and artifical hypotermia" über die Bedeutung der Hypothermie für das Überleben von Gehirnzellen nach Herzstillstand veröffentlicht.[3] Darin beschreibt er, dass ab 10 Minuten des Herzstillstandes der "biologische Tod", wie er den Hirntod nannte, eintreten wird. Bei Affen maß er die kürzeste Zeit, bei niederen Tieren eine längere Zeit. (7)

Anfang der 70er Jahre formulierte Negovsky ein hirnbezogenes Todeskonzept.

Negovsky untersuchte den Sterbeprozess anhand von Experimenten mit Hunden. Dabei entzog er dem Hund dessen Blut bis dieser klinisch tot war.

Als Ergebnis seiner Studien schrieb in den 1950er Jahren: "Bis heute liegen schon eine ganze Reihe experimenteller und klinischer Untersuchungsergebnisse vor, die zeigen, welch besondere Rolle die höheren Abschnitte des Gehirns in den Prozess des Sterbens und der Wiederbelebung der Tiere wie auch besonders des Menschen spielen.
Sterben heißt, daß die Ganzheit des Organismus zerfällt, daß die reflektorischen Verbindungen, die die Lebenstätigkeit einzelner Teile des Organismus zu einem einheitlichen Ganzen verbinden, zerstört werden. Hieraus ist abzuleiten, daß im Prozess des Sterbens jene höhere Abschnitte des Zentralnervensystems, die diese Ganzheit bestimmen, d.h. vor allem die Hirnrinde, ausgeschaltete werden."[4]

Im Juli 1936 wurde V.A. Negovsky und seine Kollegen entlassen. Er wandte sich an den Vorsitzenden der Volkskommissare der UdSSR und bat darum, die Bedeutung seiner Forschung darzulegen. Im Oktober 1936 konnte Negovsky und seine Mitarbeiter das weltweit erste Labor für experimentelle Physiologie des Körpers eröffnen. Im Vordergrund stand die Erforschung der Wiederbelebung. Die bis 1941 gewonnenen Erkenntnisse sollen während des Zweiten Weltkrieges einigen russischen Soldaten das Leben gerettet haben, u.a. Valentin Tscherepanow. Auch der geniale Physiker Lev Landau überlebte dank Negovsky´s Arbeiten viermal den klinischen Tod und konnte hernach noch 7 Jahre leben und in diesen den Nobelpreis entgegennehmen. Negovsky´s Methode der Reanimation wurde z.T. heftig kritisiert, aber niemand war in der Lage, eine echte Alternative zu bieten. Was kamen, waren nur Variationen und Verbesserung seiner Methode.[5]

V.A. Negovsky setzte sein ganzes wissenschaftliches Arbeiten daran, Menschen mit Herz- und Atemstillstand wieder gut ins Leben zurückzuholen. Negovsky sah den Zustand "klinisch tot" als ein Übergangsprozess zum biologischen Tod an, aus dem es kein Zurück mehr gibt. Negovsky schrieb in den 1940-er-Jahren: "Für eine lange Zeit waren wir der Ansicht, dass die jüngste Kontraktion des Herzens der letzte 'Akkord des Lebens' sei. Wir sprechen jetzt nicht so, denn nach Beendigung der Herztätigkeit ist noch für einige Minuten die Wiederherstellung des zentralen Nervensystems möglich. In der Tat sind der letzte 'Akkord des Lebens' die noch verbleibenden Zeichen der Vitalität des Gehirns." Während des Zweiten Weltkrieges konnten mit der Reanimation nach Negovsky etwa 50 russische Soldaten aus dem Zustand der Agnoie oder klinischen Todes wieder ins Leben zurückgeholt werden. Für diese Leistungen erhielt Negovsky den Orden "Roter Stern".[6]

V.A. Negovsky fand bei seinen Forschungen über die Reanimation heraus, dass das menschliche Gehirn sehr anfällig auf den Stillstand des Blutkreislaufes ist, insbesondere das höher entwickelte Großhirn. Negovsky konnte für das menschliche Gehirn eine Zeit von 5-6 Minuten der Reanimation ermitteln, während andere Organe hingegen sogar noch eine Stunde ohne Durchblutung auskommen konnten. Wenn jedoch das Gehirn abgestorben ist und die übrigen Organe wieder arbeiten, hat man einen "beschäftigten Körper" (оживленное тело).[7]

Negovsky hatte in Prof. F. Andreev einen Vordenker der Reanimation. Er beschrieb seine Ergebnisse mit Hunden in dem Buch "Experimente der Erholung des Herzens, der Atemwege und Funktion des Nervensystems". Negovsky hatte den Traum, den Tod zu überwinden.[8]

In den 1940-er-Jahren schrieb Negovsky, dass erst nach Eintritt des Hirntodes vom Tod einer Person gesprochen werden kann, denn aus diesem Zustand gibt es kein Zurück, keine Reanimation. [9]


Неговского = Negovsky

Das Forschungslabor von Negovsky

Besuch einer dt. Gruppe Anästhesisten (1963)

Auf Einladung von Vladimir Negovsky besuchte eine Gruppe Anästhesisten vom 12-25.09.1963 Prag und Moskau. Negovsky´s "Laboratorium für Experimentelle Physiologie der Wiederbelebung des Organismus" lag in der Straße des 25. Oktober. Während des 9-tägigen Aufenthalts konnten die Gäste alles sehen, was sie interessierte. Die Sowjetische Akademie der Wissenschaften besitzt als eine ihrer Abteilungen die Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Diese wird unabhängig von den Krankenhäusern verwaltet, die dem Gesundheitsministerium unterstehen. Die einzelnen Institute, wie das von Prof. Negovsky geleitete, unterstehen der Akademie für Medizinische Wissenschaften. Sie sind unabhängig gegenüber Universitäten und Hochschulen.[10]

Negovsky ist experimenteller Pathologe. Unter seinen Mitarbeitern befanden sich Biochemiker, Elektro-Mediziner und Neuro-Physiologen. Sein Institut war das einzige seiner Art in der Sowjetunion und ist führend in der Ausbildung in der Wiederbelebung im ganzen Lande. Von ihm ausgebildete Ärzte betreuten 84 Wiederbelebunszentren, die in der ganzen Sowjetunion verteilt waren. Negovsky beabsichtigte, ein einziges Fachgebiet der Wiederbelebung einzurichten.

Ungefähr 25 Mitarbeiter Negovslky´s arbeiteten hauptsächlich in den beiden in Moskau gelegenen Wiederbelebungszentren, 25 im Institut. Die Kliniker haben zuerst eine internistische, chirurgische oder anaesthesiologische Ausbindung abgeschlossen. Die Theoretiker waren überwiegend Frauen. Sie wurden unterstützt durch ungefähr 50 technische Asistentinnen der verschiedensten Art. Alle sind äußerordentlich kollegial und interessiert an einem Gedankenaustausch, insbesondere Prof. Negovsky selbst, der beschrieben wurde als "ein überragender Forscher und Lehrer", der "die im Ausland durchgeführten Forschungen kannte."

Die Gäste besuchten die Notfallstation des Botkinskaya Hospital, eines 3.000-Betten-Krankenhauses. Dabei hatten die "den Eindruck, daß das Schwergewicht des Wiederbelebungsunterrichts im Laboratorium liegt, weniger im klinischen Unterricht."

Die häufigste Indikation schienen ausgeblutete Mütter zu sein mit Komplikationen bei der Geburt. Die Intraarterielle Transfusion wurde von Negovsky bei folgenden Indikationen empfohlen: oligämischer Schock mit Blutdruck unter 40 mm Hg. Herzstillstand durch Ausblutung und 'Agonalzustand' (Absinken des Blutdruckes durch Ausblutung auf nicht mehr meßbare Werte, letze Schnappatmung)."

Die Überwachungskarten ähnelten den deutschen Narkoseberichtsformularen und wurden gut geführt. Wenn Spezialisten anderer Fachgebiete benötigt werden, wurden sie aus den dabeiliegenden Kliniken herbeigerufen. Blut und Dextran wird in 250-ml-Flaschen aufbewahrt. Einmalgeräte wurden kaum verwendet.

Die Wiederbelebungsmaßnahmen wurden in regelmäßigen Kursen für Ärzte, Schwestern und Sanitäter unterrichtet, insbesondere die alternierende Mund-zu-Mund-Beatmung (Atemspende) und äußere Herzmassage zur Behandlung des Kreislaaufstillstandes. Die Notfallarztwagen waren ausgerüstet mit Defibrillatoren. Prof. Gurvich empfahl einen empirischen Counterschock, wenn binnen einiger Minuten trotz äußerer Herzmassage keine spontane Herztätigkeit wiederkehrt. Prof. Smolnikow, Chaefanästhesist am Institut für Experimentelle Onkologie, er trug den Titel "Chefanaesthesiologe der Sowjetunion", war zur Zeit des Besuchs nicht in Moskau.

Im Sklifosowsky-Institut wurden die Gäste von Prof. Tarasov begrüßt. Er berichtete: In den letzten 33 Jahren wurden 33 Tonnen Kadaverblut verwendet. Das am Institut verwendete Transfusionsblut ist zu 80% Kadverblut. In anderen Kliniken ist dessen Verwendung jedoch seltener. Die Spender sind rasch verstorbene Unfall- und Infarktopfer. Die Entnahme muss binnen 6 Stunden nach Eintritt des Todes erfolgen. Das Blut kann 4-5 Wochen aufbewahrt werden. In den USA wurden ähnliche Versuche an der Bowman-Gray-Medizinschule in Winston-Salem, North Caroline durchgeführt.

Die Gäste waren auch in der Zentrale des Moskauer Notfallarztwagen-Systems. Dort gehen täglich ca. 500 Anrufe ein. Hierzu stehen rund 800 Krankenwagen zur Verfügung, die von 29 Stationen aus eingesetzt werden. In Groß-Moskau gibt es somit keine Stelle, die weiter als 5 km von einer solchen Stelle entfernt ist und die nicht binnen 10 min vor Ort sein kann. Herzdruckmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung und andere Techniken werden Schwestern und Fahrern dieser Wagen beigebracht.[11]

Prof Alexander Vishnevsky, der Generalchirurg der Sowjetarmee, sprach deutsch. Sein Hauptinteresse galt der Herz- und Gefäßchirurgie. In seinem Institut wurden bereits Operationen mit selektiver Hirnkühlung auf 10°C bei einer Körperkühlung von 30°C bei längerer Kreislaufunterbrechung erfolgreich durchgeführt. "Die Verwendung von Computern zur Beschleunigung der Diagnosestellung scheint Prof. VISHNEVSKY zukunftsreich, wie erste Erfahrungen bewiesen. Er ist ein starker Verfechter der Lokalanaesthesie ...
Zusammenfassend könne wir feststellen: Die Anaesthesiolgie ist in Rußland ein neues Fach, das sich in schneller Entwicklung befindet. Das Ausbildungsprogramm erhält staatliche Unterstützung. Die Wiedberbelebung ist anscheinend im Begriffe, als unabhängiges Spezialfach anerkannt zu werden. Besonders beeindruckend waren wir von der Organisation der Notfallarztwagen."[12]


Anhang

Quellen

Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten. Zur Genese des Hirntodkonzepts. Konstanz 2003, Seiten 55-58.

Seite im russischen Wikipedia


https://www.resuscitationjournal.com/article/S0300-9572(01)00356-2/abstract

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0300957201003562

Anmerkungen

  1. In der russischen Literatur wird er mit "Negovsky" geschrieben, in deutscher Literatur auch mit "Negovskij".

Einzelnachweise

  1. Negovskij: Pathophysiologie und Therapie der Agonie und des klinischen Todes. Berlin 1959, 228. Zitiert nach: Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten, 67.
  2. http://www.reanimatology.com/rmt/article/download/615/371 Zugriff am 2.2.2017.
  3. http://www.defibrillation.ru/download/Resuscitation_and_artifical_hypotermia,New_York,1962.pdf Zugriff am 2.2.2017.
  4. Negovskij: Pathophysiologie und Therapie der Agonie und des klinischen Todes. Berlin 1959, 127. Zitiert nach: Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten, 61.
  5. http://www.neurocenter.ru/NEG_MK.htm Zugriff am 2.2.2017.
  6. http://nsicu.ru/history Zugriff am 2.2.2017.
  7. http://www.medical-enc.ru/history/organy-trupa.shtml Zugriff am 2.2.2017.
  8. http://www.chem.msu.su/rus/journals/chemlife/2000/padre.html Zugriff am 2.2.2017.
  9. http://www.reanimatology.com/rmt/article/download/615/371 Zugriff am 2.2.2017.
  10. Der Anaesthesist 13 (1964), 318.
  11. Der Anaesthesist 13 (1964), 319.
  12. Der Anaesthesist 13 (1964), 319.