Organverweigerer

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"Organspendeverweigerer" als Gegenpol zum "Organspender", als rein den Sachverhalt beschreibenden Begriff, frei von allen Wertungen. So ist auch "Wehrdienstverweigerer" ein wertneutraler Begriff, der einfach nur den Sachverhalt beschreibt.

Organspender und Organspendeverweigerer

In Deutschland wurde im Jahre 2012 im Transplantationsgesetz festgelegt, dass ab dem 16 Lebensjahr jeder Bundesbürger von der Krankenkasse zur Organspende befragt werden solle (Erklärungsregelung). Damit sind die Entscheidungen wertneutral in diese drei Gruppen einzuteilen:

  • Organspender
    Sie füllen den Organspendeausweis mit einer Zustimmung (Ja) zur Organspende aus.
  • Organspendeverweigerer
    Sie füllen den Organspendeausweis mit einer Verweigerung (Nein) Organspende aus.
  • Unentschlossenen und Gleichgültigen
    Sie füllen keinen Organspendeausweis aus. Damit überlassen sie im Falle ihres Hirntods den Hinterbliebenen die Aufgabe, über eine mögliche Organspende zu entscheiden.

Worte von Brigitta Hauser-Schäublin, Vera Kalitzkus und Imme Petersen:[1]

Der Aufruf zur ‚Organspende‘ ist ... auch ein Aufruf zu einem altruistischen, einem ‚wertvollen‘ Menschen, und zeichnet ein positives Beispiel für unser gesellschaftliches Menschenbild. Wenn man die aufgeführten Eigenschaften für sich beanspruchen will, wird ‚Organspende‘ zur Pflicht. Denn nur ein Mensch, der christliche und ethische Verantwortung, solidarisches Handeln, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe in der Bereitschaft zur ‚Organspende‘ lebt, gilt als ein altruistisch handelnder und damit besonders wertvoller Mensch in unserer Gesellschaft.

Oberflächlich betrachtet erscheint dieser Textauszug als nüchterne Darstellung eines Sachverhalts. Doch die Wertung am Ende dieses Zitats zeigt die Tendenz, die im übrigen Text offen dargelegt wird: Organspende sei abzulehnen.

Wer sich "nur" als Organspender zur Verfügung stellt, sonst höchst unmoralisch verhält, kann nicht als "altruistisch handelnder und damit besonders wertvoller Mensch in unserer Gesellschaft" bezeichnet werden. Altruismus ist eine Lebensgrundhaltung, so wie sein Gegenpol Egoismus. Daher gilt: Wer sich nur als Organspender zur Verfügung stellt, ansonsten ein Egoist ist, der bleibt ein Egoist, trotz dieser einen guten Tat.

"Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", sagt der Volksmund. Ebenso wenig macht aus einer guten Tat eines Egoisten einen vorbildlichen Menschen. Es ist eine vorbildliche Tat eines Egoisten. Auch macht eine ungute Tat aus einem Vorbild keinen Unmenschen. Es ist eine verwerfliche Tat eines vorbildlichen Menschen.

Es ist eine Versuchung, aus einer einzelnen Tat eines Menschen gleich auf den ganzen Menschen zu schließen. Dieser Versuchung gilt es zu widerstehen. - Egoismus ist wie Altruismus eine Lebensgrundhaltung, die sich in konkreten Taten zeigt. Nicht die einzelne Tat macht den Egoismus bzw. Altruismus aus, sondern die Summe seiner Taten.

Es gibt viele Möglichkeiten, Gutes zu tun, wie aber auch Schlechtes. Was ist mit dem Menschen, der beides tut? Was ist mit dem Menschen, der als Grundhaltung Egoismus hat und Ja zur Organspende sagt? Was ist mit dem Menschen, der als Grundhaltung Altruismus hat und Nein zur Organspende sagt?

Egoismus Altroismus
Gleichgültigkeit Nächstenliebe
Verachtung Wertschätzung
Interessenlosigkeit Hilfsbereitschaft
Beliebigkeit Verpflichtung
wertloser Mensch wertvoller Mensch[Anm. 1]

An Fragen wie diesen wird deutlich, dass die Wertung der Menschen nicht so einfach zu treffen ist. Anders hingegen ist es mit dem "statistischen Mittelwert" eines Menschen. Um dies deutlicher heraus zu stellen, werden die Begriffe als Gegenpole in der nebenstehenden Tabelle gegenüber gestellt.

Die meisten Mensch sehen die Zustimmung zur Organspende als eine gute Tat an. Sie ist edel, ein Zeichen der Solidarität, ein Akt der Nächstenliebe, eine vorbildliche Tat, ein Vorbild für andere.

Doch gerade hier scheint das Problem zu liegen: Wenn man aus irgend einem Grunde der Organspende nicht zustimmen kann, was ist man dann für ein Mensch? Handelt man unmoralisch? Sind einem die schwerkranken Patienten gleichgültig? Gibt man dann ein schlechtes Beispiel?

Was ist man, wenn man kein Organspender ist, sonder ein Organspendeverweigerer? Wenn Organspende gut ist, muss dann Organverweigerung damit automatisch schlecht sein?

Organräuber, Organspendeverweigerer und Organspender

Die Lösung des Problems scheint in der Auflösung des Dualismus zu liegen. Führt man eine dritte Ebene ein, so bekommt die Situation ein völlig anders Gesicht:

  • Organräuber
    Organraub ist unbestritten verwerflich. Ein Organräuber ist auf jeden Fall ein negatives Vorbild.
  • Organspendeverweigerer
    Organverweigerung ist neutral. Ein Organspendeverweigerer sticht nicht aus der Masse heraus.[Anm. 2]
  • Organspender
    Organspende ist edel. Organspender sind positive Vorbilder.

Mit Einführung dieser dritten Ebene kommen die Organspendeverweigerer von der Anklagebank, auf die sie sich gesetzt fühlen. Was sich Organspendeverweigerer bei allem Wohlwollen gefallen lassen müssen, ist die Wertung, dass die Entscheidung, als Organspender zur Verfügung zu stehen, die ethisch bessere Entscheidung ist. Denn beim besten Willen kann man Organverweigerung keinesfalls als vorbildliche Haltung hinstellen, sehr wohl jedoch Organspende.

Entscheidungsfindung bei Organspendern und Organspendeverweigerer

Der Hirntod wartet nicht, bis man sich entschieden hat.
Niemand weiß, wann es wen trifft - es kann jeden jederzeit treffen - das Leben belegt es.
Daher ist es sinnvoll, sich jetzt zu entscheiden.
Wer sich noch nicht entscheiden kann, soll "Nein" ankreuzen,
man kann es später - so lange man noch lebt - jederzeit ändern, ohne Angaben von Gründen.
Nach der Feststellung des Hirntodes
gibt es kein "Ich kann mich nicht entscheiden",
dann gibt es nur noch ein "Ja" oder "Nein",
so wie bei der Widerspruchsregelung.
Nach der Feststellung des Hirntodes geht es auf der Grundlage des Grundrechts der Selbstbestimmung immer um die Umsetzung des Willen des Hirntoten. Nur wenn dieser nicht festgestellt werden kann, haben die Hinterbliebenen zu entscheiden.
Außer der WSR haben bei allen anderen Regelungen
die Menschen die Möglichkeit der Nicht-Entscheidung,
was die Entscheidung durch die Hinterbliebenen zur Folge hat.
Daher ist die WSR die ideale Regelung bei der Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts.
Ein "Nein" auf dem OSA ist besser als kein OSA.

Entscheidungen 2002-2021

Die Entscheidung zur Organspende ab dem Jahr 2002.[2] [Anm. 3]

Entscheidung 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
Potenziell[3] 1.868 2.090 1.865 1.963 1.866 1.888 1.876 1.799 1.584 1.370 1.339 1.317 1.248 1.178 1.416 1.371 1.344 1.280
Ja: (Abs) 1.259 1.313 1.198 1.217 1.296 1.200 1.046 876 921 926 857 863 955 1.040 1.028 1.039
schriftlich 5,0 5,5 7,3 5,8 6,8 6,2 6,3 8,8 7,3 8,9 10,3 14,3 16,1 15,2 16,4 19,7 17,6 18,8 21,2 20,3
mündlich 11,6 11,8 13,0 11,1 16,1 18,4 19,9 21,9 21,8 25,8 23,2 25,8 24,8 27,9 26,7 26,7 25,4 24,8 20,8 22,3
vermutet 75,4 76,8 75,9 79,1 68,1 66,6 60,9 51,8 53,5 47,7 50,6 43,6 42,0 44,2 44,5 41,0 45.5 44,2 45,3 47,4
Hinterbliebene 8,1 5,8 3,7 3,9 8,9 8,8 12,9 17,4 17,4 17,7 15,9 16,3 17,2 12,7 12,3 12,6 11,6 12,2 12,2 9,1
Nein: (Abs) 485 537 551 565 482 486 434 402 381 358 297 282 340 293 274 241
schriftlich 1,3 1,0 2,3 2,2 1,4 0,4 0,9 1,4 1,7 1,1 1,8 2,0 2,9 3,1 4,4 4,6 4,1 3,1 4,0 4,1
mündlich 15,9 17,5 17,7 18,9 21,4 22,9 22,7 30,8 28,8 31,2 31,1 35,1 32,0 35,8 32,3 29,8 32,1 28,7 16,8 14,1
vermutet 68,3 66,1 68,7 70,8 52,4 47,5 43,6 29,4 28,8 27,1 27,6 24,6 26,0 29,3 28,3 24,8 31,2 26,6 38,3 42,7
Hinterbliebene 14,5 15,3 11,3 8,1 24,7 29,2 32,8 38,4 40,7 40,6 39,4 38,3 39,1 31,8 35,0 40,8 32,6 41,6 40,5 38,2
Nein-Anteil 26,0 27,4 29,5 29,9 25,7 27,0 27,4 29,3 28,5 27,2 23,8 23,9 24,0 21,4 21,4 20,4
Ja-Anteil 67,7 66,9 64,2 64,5 69,1 66,7 66,0 63,9 68,8 70,3 68,7 73,3 67,4 75,9 75,8 76,5
Ja OSA % 4,6 4,1 4,0 5,7 5,0 5,9 6,8 9,1 11,1 10,7 11,3 14,4 11,9 14,3
Nein OSA % 0,4 0,1 0,3 0,4 0,4 0,3 0,5 0,6 0,8 0,8 1,0 1,1 1,0 0,7
OSA % 5,0 4,3 4,3 6,1 5,5 6,2 7,3 9,7 11,9 11,5 12,3 15,5 12,9 14,9

Nein-Anteil = nach Feststellung des Hirntodes der Anteil in %, der der Organentnahme widersprochen hat
Ja-Anteil = nach Feststellung des Hirntodes der Anteil in %, der der Organentnahme zugestimmt hat
Ja OSA % = von den Organspendern hatten n% schriftlich der Organentnahme zugestimmt
Nein OSA % = von den Nicht-Organspendern hatten n% schriftlich der Orgenentnahme widersprochen.
OSA % = von den potentiellen Organspendern (Summe aus Organspendern und Nicht-Organspendern hatten n% ihre Entscheidung zur Frage der Organspende selbst schriftlich festgehalten, d.h. einen Organspendeausweis ausgefüllt. Im Jahr 2013 gab nach Feststellung des Hirntodes 29,3% "Nein" zur Organspende, doch 2008 waren es 29,5% und 2009 sogar 29,9%. Von 2013 bis 2016 ging der Nein-Anteil von 29,3% auf 23,8% zurück. Seither stagniert der Widerspruch zur Organspende bei ca. 24%. Von einem "Vertrauensverlust" kann hier wirklich nicht gesprochen werden, der einen Rückgang der Organspender um rund 30% bewirkte.

Entscheidungen ab 2022

Ab dem Jahr 2022 brachte die DSO in ihren Jahresberichten eine neue Berechnung der Entscheidungen heraus. Daher sind die Tabellen nun anders: Entscheidungen nach DSO-Regionen:

Ja (%) 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030
Nord 51,3
Nord-Ost 57,8
Ost 56,6
Bayern 59,5
B-W 59,5
Mitte 44,9
NRW 39,5

Die schriftlichen Entscheidungen nach DSO-Regionen:

Ja (%) 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030
Nord Ja 25,8
Nord Nein 7,5
Nord-Ost Ja 23,1
Nord-Ost Nein 5,3
Ost Ja 19,4
Ost Nein 6,5
Bayern Ja 23,8
Bayern Nein 4,3
B-W Ja 21,4
B-W Nein 4,3
Mitte Ja 26,6
Mitte Nein 11,1
NRW Ja 18,3
NRW Nein 6,9

Entscheidungen 2021

Ausschlussgründe[4] Anz. %
keine Zustimmung zur Organspende im Vorfeld 945 47%
keine Feststellung des Hirntodes 514 25%
medizinische Kontraindikationen 334 17%
Herzprobleme oder Herzstillstand 216 11%
keine Freigabe durch Staatsanwaltschaft 3
Bereits im Vorfeld der Hirntodfeststellung gab es in 945 Fällen keine Zustimmung zur Organentnahme.
Willenserklärung[5] Anz. Ja % Ja Anz. Nein % Nein
schriftlich 261 22,4 81 6,8%
mündlich 253 21,7% 181 15,1%
vermutet 543 46,6% 456 38,2%
Hinterbliebene 104 8,9% 389 32,6%
Summe 1.166 1.112
Sonstiges 83 6,9%
Rund jeder 4. Hirntote hatte im Jahr 2022 eine schriftliche Willensäußerung zur Frage der Organspende.
Damit mussten 3/4 der Hinterbliebenen gefragt werden ob sie den Willen des Hirntoten kennen.
Über die Hälfte der Hinterbliebenen kannten nicht den Willen des Hirntoten.
Damit musste weitergefragt werden, was sie wohl vermuten und in letzter Konsequenz, wie sie entscheiden.
Daher ist die baldige Einführung der Widerspruchsregelung sinnvoll.

Selbst bei nachweislich im Frühjahr 2014 fertiggestellten Schriften finden sich noch Angaben, dass "95 von 100 Menschen, denen Organe entnommen werden, selbst nicht zugestimmt haben".[6] Nicht nur, dass die Zahlen seit Jahren nicht mehr aktuell sind, sie geben auch durch ihre verkürzte Darstellung ein Zerrbild der Realität dar. Damit erfüllen die Kritiker ihre eigene Forderungen um umfassende und ergebnisoffene Information nicht. Aus diesem Grunde stehen hier alle Zahlen zur Entscheidungsfindung seit dem Jahr 2006.

Anhang

Herz 94a.jpg

Anmerkungen

  1. Diese Begrifflichkeit wurde in die Tabelle aufgenommen, weil sie dem o.g. Zitat entstammt. Sie entspricht nicht der Haltung des Verfassers. Der Mensch bleibt auch als Organspendeverweigerer ein wertvoller Mensch, hat jedoch vor Gott und seinem Gewissen diese Verweigerung zu rechtfertigen.
  2. Organspendeverweigerer sind demnach profillos. Unter dem Gesichtspunkt der Organspende spielt es keine Rolle, ob es sie gibt. Sie treten weder negativ noch positiv hervor.
  3. Die Zahlen der Jahre 2002 bis 2005 wurden aus dem Jahrbuch der DSO entnommen. Die Zahlen der Jahre 2006 bis 2013 wurden nach den absoluten Zahlen der Jahrbücher der DSO berechnet. Dabei wurden nur die realisierten Organspenden mit den Ablehnungen nach Feststellung des Hirntods ins Verhältnis gesetzt. D.h. nicht berücksichtigt wurden dabei nicht erfolgte Organtransplantationen, z.B. durch Kreislaufversagen oder med. Gründen.

Einzelnachweise

  1. http://webdoc.sub.gwdg.de/pub/mon/2008/hauser-schaeublin.pdf Zugriff am 8.11.13.
  2. DSO: Jahrbuch 2002ff.
  3. Die Anzahl der potenzieller Organspender umfasst alle Hirntoten, die mit für eine TX brauchbare Organe auf der Intensivstation liegen. Die meisten von werden tatsächlich Organspender. Bei einigen wird die die Organspende verweigert. Daneben gibt es noch eine Reihe von Hirntoten, bei denen zwar eine Zustimmung zur Organspende vorgelegen hat, bei denen es jedoch aus verschiedenen Gründen zu keiner Organspende gekommen ist. Die DSO unterscheidet hierbei unter:
    • Abbruch vor oder während der Organentnahme (z.B. Tumorfeststellung)
    • Medizinische Gründe (inkl. Herz-Kreislaufstillstand, ICD-10 I46.9)
    • Sonstiges (Keine Einwilligungsberechtigten, Gespräch nicht zumutbar, keine Freigabe durch den Staatsanwalt)
  4. DSO: Jahresbericht 2022, 60.
  5. DSO: Jahresbericht 2022, 23.
  6. http://www.organwahn.de/organwahn/index.html#18/z Zugriff am 25.6.2014.