Nele Neuhaus

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Vorbemerkungen zu diesen Richtigstellungen:
  • Wer Halb- bzw. Unwahrheiten verbreitet, der täuscht.
  • Wer Halb- bzw. Unwahrheiten zitiert verbreitet, täuscht auch.[Anm. 1]
  • Wer bewusst Halb- bzw. Unwahrheiten verbreitet, begeht den Tatbestand der bewussten Täuschung.[Anm. 2]

Korrekturen zum Kriminalroman "Die Lebenden und die Toten" von Nele Neuhaus:

Seite Zitat aus dem Buch Richtigstellung
168 Meine Frau hat Organtransplantation aus verschiedenen Gründen abgelehnt, sie hatte sogar eine Patientenverfügung, was damals noch ungewöhnlich war. Die Ärzte hätten warten müssen, bis ich zurück war, doch sie hatten es sehr eilig. So eilig, dass man nicht die vorgeschriebene Zeit zwischen den beiden Hirntoduntersuchungen eingehalten hatte. Im Protokoll der Klinik waren die Zeiten gefälscht worden. Außerdem hatten sie mehr Organe entnommen als vorher angegeben. Nicht nur das Herz und die Nieren, sondern jedes Organ wurde entnommen, sogar die Augen, Knochen, Haut und Gewebe. Aus diesem Grund habe ich später einen Rechtsstreit gegen die Klinik geführt. Nach Angabe des Romans auf Seite 167 soll sich das im September 2002 ereignet haben. Das war 5 Jahre nach Einführung des TPG im Jahre 1997.

Es ist daher unvorstellbar, dass Jahre nach Einführung des TPG in dieser Weise gegen das Recht verstoßen wurde: Wenn nur Herz und Nieren freigegeben wurde, dann haben alle anderen Organe im Körper zu verbleiben.
Bei Zustimmung zur Organspende ist Gewebespende automatisch mit eingeschlossen. Dabei hat nach § 9 TPG die Organspende Vorrang gegenüber der Gewebespende.
Derzeit transplantierbare Organe sind: Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und Dünndarm.
Gewebespende sind: Hornhaut des Auges (nicht das ganze Auge), Knochen, Haut und anderes Gewebe wie z.B. Venen.

168f Er war der festen Überzeugung, man habe ihn überrumpelt und betrogen, denn er hatte nie eine Einwilligung zur Explantation unterschrieben, lediglich eine Vollmacht zur Behandlung seiner Tochter. Auf Seite 168 heißt es hingegen: "Meinen Schwiegereltern ging es kaum besser. Unter dem starken Druck der Ärzte hatten sie einer Organentnahme bei ihrer hirntoten Tochter zugestimmt." Hier stimmt etwas nicht zusammen: Entweder oder!
198 Eine Frau wurde eingeliefert, nach einer Hirnblutung und mehreren Stunden ohne Sauerstoffversorgung war sie hirntot. Jede Hilfe kam zu spät. Die Angehörigen gestatteten die Organentnahme, die notwendigen Untersuchungen fanden statt, die Parameter wurden an Eurotransplant gemeldet, und man informierte von dort aus die Patienten, die auf Organe warteten und deren Werte passten. Die hirntote Frau wurde in der Nacht explantiert. Bei "mehreren Stunden ohne Sauerstoffversorgung" ist man nicht hirntot, sondern tot. Es setzt dann bereits die Totenstarre ein. Totenflecke sind dann sichtbar.[Anm. 3]

Wenn die Frau in den frühen Morgenstunden eingeliefert wurde, versuchten die Ärzte zunächst mal ihr Leben zu retten und ihre Gesundheit wieder herzustellen. Um bei bereits vorliegendem Hirntod (von dem noch niemand was weiß) festzustellen, dass hier nichts zu machen ist,[Anm. 4] vergehen etliche Stunden bis ein ganzer Tag. Dann erst wird mit der Hirntoddiagnostik begonnen. Bei primärer Hirnschädigung müssen zwischen 1. und 2. klinischer Diagnostik mind. 12 Stunden liegen, bei sekundärer Hirnschädigung mind. 72 Stunden. - Wenn mit der Angabe "mehreren Stunden ohne Sauerstoffversorgung" ein Ertrinken angenommen werden muss, ist dies eine sekundäre Hirnschädigung. Damit müssen mind. 72 Stunden (= 3 Tage) zwischen 1. und 2. klinischer Diagnostik vergehen.
Selbst bei primärer Hirnschädigung ist eine Organentnahme in der darauffolgenden Nacht faktisch nahezu unmöglich, da die Zeit der Organvermittlung weitere Stunden in Anspruch nimmt.[Anm. 5]
Fazit: Diese Darstellung des zeitlichen Rahmens ist bei allem Wohlwollen völlig an der Realität vorbei.

254 Im Krankenhaus teilte man uns mit, Kirsten haben eine Hirnblutung erlitten und sei zu lange ohne ausreichende Sauerstoffversorgung gewesen. Durch eine massive, zum Hirntod führende Hirnblutung wird das Gehirn nicht "zu lange ohne ausreichenden" Sauerstoff versorgt, sondern nie wieder mit ausreichendem Sauerstoff versorgt.[Anm. 6]
255 Man sagte uns klipp und klar, bei Kirsten seien durch die Blutung große Teile des Hirnstamms und des Großhirns irreparabel geschädigt, und begann uns zu bedrängen. Wir sollten die Entscheidung treffen und Kerstins Organs zur Spende freigeben. Es ... es erschien uns wie Mord, sie aufschneiden und ihre Organe herausnehmen zu lassen, denn sie ... sie wirkte so lebendig.

Fazit:
Nele Neuhaus hat sich höchst unzureichend mit den medizinischen Fakten um Hirntod und den Ablauf der Organtransplantation beschäftigt bzw. sich dabei schlecht beraten lassen. Die Folge ist, dass die Leserschaft dieses Romans ein Zerrbild zum Thema Hirntod und Organtransplantation erhalten. Daher kann dieser Roman nicht empfohlen werden.

Anhang

Anmerkungen

  1. Die Zitation schützt nicht vor der Tatsache, dass Halb- und Unwahrheit verbreitet wird. Daher schützen auch Zitationen von Halb- und Unwahrheiten nicht vor dem Vorwurf der Irreführung.
  2. Täuschung ist im deutschen Recht ein Strafbestand, der nach § 236 StGB (Betrug) oder § 146 StGB (Falschgeld) bestraft. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%A4uschung#T.C3.A4uschung_im_Recht Zugriff 12.1.2015.
  3. 10 Sekunden ohne Sauerstoff im Gehirn wird man ohnmächtig. 30 Sekunden ohne Sauerstoff im Gehirn ist kein EEG ableitbar. Über 10 Minuten ohne Sauerstoff im Gehirn droht der Hirntod. Das sind medizinische Fakten.
    Leider ist an dieser Stelle nicht näher bezeichnet, wie diese "ohne Sauerstoffversorgung" zustande kam. Angenommen, es wäre der für die Frau günstigste Situation. Dies wäre das Ertrinken, die hier angegebenen Zeiten gelten für ca. 20°C Wassertemperatur: Als geübte Taucherin hätte sie den Atem noch 20 Minuten anhalten können. Dann wäre das Ertrinken erfolgt. Das Herz hätte dann noch höchstens 5 Minuten geschlagen. Damit wäre nach spätesten 25 Minuten das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt worden. Nach insgesamt 35 Minuten hätte der Hirntod gedroht. Nach insgesamt 40 Minuten wäre das Gehirn so schwer geschädigt gewesen, dass trotz sofortiger Reanimation und Hypothermie nur noch der Hirntod festgestellt werden könnte. Nach insgesamt 60 Minuten wäre die Frau nicht mehr reanimierbar gewesen. Nach insgesamt 2 Stunden hätten sich bereits erste Anzeichen von Totenflecken und Totenstarre abgezeichnet. Damit ist der früheste Zeitpunkt von "mehrere Stunden ohne Sauerstoffversorgung" erreicht. - Hier zeigt sich die sachliche Inkompetenz der Autorin zum Sterbeprozess.
  4. Es müssen erst mal entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden, um zu wissen, was denn Sache ist. Meist werden Patienten eingeliefert mit den Angaben, unter denen sie aufgefunden wurde, in dem hier angenommenen Beispiel als Ertrunkene. Wie lange sie bereits im Wasser lag, vermag man oft nicht sagen. Erst wenn die Ärzte erkennen, der Patient reagiert nicht wie erwartet und er hat Anzeichen, die auf Hirntod hindeuten, beginnt man mit der Hirntoddiagnostik.
  5. Im Jahresbericht 2012 der DSO sind auf Seite 19 die Zeiten zwischen Feststellung des Hirntods (= Abschluss der 2. klinischen Diagnostik) und dem Beginn der Organentnahme angegeben: 2,7% kleiner 7 Stunden, 24,8% benötigten 7 bis 12 Stunden, 42,6% benötigten 12 bis 18 Stunden, 15,4% benötigten 18 bis 24 Stunden, 14,5% benötigten mehr als 24 Stunden.
  6. Die massive Hirnblutung lässt den Hirndruck auf den sytolischen Wert (oberer Wert des Blutdrucks) ansteigen. Dadurch gibt es keinen Druckunterschied, der das Blut durch das Gehirn pumpen könnte. Die Gehirnzellen sterben ab.

Einzelnachweise