Neuralrohr

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Allgemeines

Das Neuralrohr ist die embryonale Anlage des zentralen Nervensystems der Chordatiere, insbesondere der Wirbeltiere, so auch des Menschen.

Es geht im Anschluss an die Gastrulation aus der als Ektoderm (äußeres Keimblatt) bezeichneten Zellschicht an der Oberfläche des Embryos hervor, die über der Chorda dorsalis gelegen und durch deren Einfluss hier das etwas dickere Neuroektoderm ausbildet als Neuralplatte. Diese wölbt sich seitlich mit Neuralwülsten auf und mittig dazwischen zur länglichen Neuralrinne ein. Anschließend faltet sich diese Neuralrinne mit den Neuralfalten ab zu einem röhrenförmigen Gebilde. Durch diesen Vorgang, primäre Neurulation genannt, wird nach innen hin eingesunken das Neuralrohr gebildet und abgesetzt vom Ektoderm, das sich als Oberflächenektoderm wieder schließt über der abgefalteten Anlage des ZNS. Beiderseits längs des Neuralrohrs bilden sich dabei vorübergehend die Neuralleisten – aus Zellen des Randbereichs der vormaligen Neuralplatte –, aus denen später u. a. neben Melanozyten (Pigmentzellen) verschiedene Anteile des [[PNS|peripheren Nervensystems] hervorgehen.

Aus Zellen des ehemaligen Mittelbereichs der Neuralplatte bildet sich so das Neuralrohr, aus dem sich bei Wirbeltieren das Gehirn und das Rückenmark entwickeln. Bei Lanzettfischchen bleibt es in der Grundform erhalten und wird zum (zentralen) Nervensystem. Die Larven von Salpen zeigen ebenfalls ein Neuralrohr, doch wird es in ihrer ontogenetischen Entwicklung wieder zurückgebildet.

Beim menschlichen Embryo entsteht das Neuralrohr zwischen dem 19. und 28. Tag seiner Entwicklung. Der Schluss zum Neuralrohr beginnt von der Mitte her, dem Bereich des späteren Rautenhirns. Den Abschluss dieser Entwicklungsphase bildet der Verschluss der beiden Neuralrohröffnungen, erst des Neuroporus anterior (rostralis) vorne mit der Lamina terminalis (etwa 29. Tag), danach des Neuroporus posterior (caudalis) hinten (etwa 30.Tag). Störungen der Entwicklung können in dieser Phase zu Neuralrohrdefekten führen, und so auch zu einer Anenzephalie oder einer Spina bifida. Aus dem Lumen des Neuralrohrs werden später liquorführende innere Hohlräume: der Zentralkanal des Rückenmarks und das Ventrikelsystem des Gehirns mit dem Aquädukt.

Vom Neuralrohr zum ZNS

Vom 15. Tag nach der Befruchtung bis zum Ende der 12. SSW entsteht aus den Ektodermzellen das Neuralrohr. Diese potentiellen Nervenzellen bilden zunächst die Neuralplatte, die sich vorwölbt und sich zu einem Rohr, dem Neuralrohr, verschließt. Die innere Schicht beginnt sich zu teilen und zu proliferieren. Die Differenzierung in Nerven- und Gliazelle erfolgt offensichtlich aus derselben Stammzelle. Beide Zelltypen bilden sich parallel, jedoch endet die Gliazellbildung Jahre später in der Bildung der Neurone. Die Proliferationsphase endet etwa in der 25. SSW abrupt nach 34 Zellgenerationen. Nur ca. 50% der angelegten Neurone werden später für die Bildung der Synapsen benötigt. Der Rest geht zugrunde. Während der 2. Pränatalphase (13.-28. SSW = 2. Trimenon) bilden sich die endgültige Struktur des ZNS aus.[1]

Die Migration der Neuronen findet überwiegend im 2. Trimenon statt. Bei der Migration wandern die späteren Nervenzellen entlang der Fortsätzen einiger Neuralrohrzellen, die von der inneren bis zur äußeren Oberfläche reichen und zu Gliazellen werden, bis zur Oberfläche des Endhirnbläschens und bilden die sogenannte Kortexplatte. Wenn die Nervenzellen im Kortex angekommen sind, bilden die einer Gliafaser zugeordneten Nervenzellen eine Funktionseinheit. Dabei verläuft die Migration in zeitlich festgelegten Wellen. Die jüngsten Neuronenschichten lagern sich auf den bisherigen Kortexzellen ab und haben somit einen längeren Weg zu überrückzulegen. Bisher ist unklar, weshalb die schichtenweise und damit störanfällige Hirnrindenbildung während der Evolution entstanden ist. Die gesamte Migrationsphase beginnt in der 8. SSW und endet mit der 30. SSW, für das Frontalhirn in der 35. SSW.
Nach Abschluss der Migration differenziert sich die neurale Zelle durch Aufbau der Ultrastrukturen (Zellkern, Plasma), Einbau des Neurons in ein neuronales Netzwerk, Wachstum von [[ASxonen] und Dentriten, sowie Bildung von Synapsen. Alle wichtigen Bahnen des ZNS werden damit funktionsfähig.[2]

Im 3. Trimenon (29-40. SSW) nimmt das Gehirn rasch an Volumen zu. "Erst durch die Verbindung der Nervenzellen miteinander wird das Nervensystem funktionsfähig. Aus einem sehr lockeren Geflecht synaptischer Verknüpfungen zum Zeitpunkt der Geburt entwickelt sich bis Ende des zweiten Lebensjahrs ein dichtes, filzartiges Netz. Im reifen Gehirn werden mehr als 90% der Oberfläche und fast 90% des Volumens der Nervenzellen von ihren Fortsätzen gebildet."[2]
In den Wochen des 3. Trimenons beginnt die Bildung der Synapsen und Myelinscheiden. "Während dieser Proliferationsphase werden Neurone im Überfluss gebildet. Neurone, die nicht in der Lage sind, eine bestimmte Anzahl von Synapsen zu bilden, gehen zugrunde. Bisher ist unklar, weshalb etwa 50% der gebildeten Neurone selektiv absterben."[2]
"Die Entwicklung des Nervensystems ist somit gekennzeichnet durch Zellteilung, durch Migration, durch Zellwachstum mit dentritischer Aussprossung und Bildung axo-dentritischer Synapsen, d.h. die Verbindung der Nervenzellen untereinander. In der Frühbildungsphase sind die Nervenzellen weitgehend funktionsunfähig."[2] Die eigentlich funktionelle Phase des ZNS ist mit dem Ende der Zellteilung erreicht "und wenn sie den endgültigen Ort ihrer Bestimmung gefunden haben, das Zellwachstum abgeschlossen ist und eine enorme Zal axo-dendritischer Verknüpfungen begildet wurde."[3]

Entwicklung des ZNS mit möglichen Fehlbildungen:[4]

Zeitpunkt Normale Entwicklung Felbildung
18. Tag Neuralplatte
21. Tag Neuralrohr Anenzephalie
23. Tag Schluß des vorderen Neuroporus Enzephalozele
25. Tag Schluß des hinteren [Neuroporus] Myelozele
30. Tag Bildung des Prosenzephalon Holoprosenzephalie
33. Tag Bildung des Fünfbläschenstadiums Arrhinenzephalie
35. Tag Bildung der Kleinhirnbläschen Kleinhirnaplasie, Kleinhirnhypoplasie
47. Tag Dreischichtbildung des Kortex Lissenzephalie, Agyrie
2.-6. Monat Bildung der Kommissurenplatte Balkenmangel
3. Monat 1. Migrationswelle Migrationsstörungen, Polymikrogyrie
4. Monat 2. Migrationswelle Migrationsstörungen, Polymikrogyrie
7. Monat Bildung der Sechsschichtenrinde Differenzierungsstörungen

Neuralrohrdefekt

Unter dem Oberbegriff Neuralrohrdefekt (NRD) werden jene Fehlbildungen] des ZNS zusammengefasst, bei denen es in der Embryonalentwicklung zu einem unvollständigen Verschluss des Neuralrohrs gekommen ist.

Zu den häufigsten Neuralrohrfehlbildungen gehören:

Die entscheidende Zeitspanne ist jene vom 22. bis 28. Tag (Organogenese), die im Bereich des ZNS mit der "primären Neurulation" beginnt. Nachdem unter dem Einfluss der Chorda dorsalis aus dem Ektoderm die (kranial breitere) Neuralplatte entstanden ist, bilden sich noch im Verlauf der dritten Woche aus den Rändern der Neuralplatte die Neuralfalten, zwischen denen jetzt eine Neuralrinne liegt. Ab dem 22. Tag nähern sich diese Neuralfalten einander an und verschmelzen zum Neuralrohr, aus dessen Lumen sich das Ventrikelsystem des Gehirns und Rückenmarks bilden wird.


Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. R. Rauskolb, W. Rascher: Zentralnervensystem. In: H.G. Bender, K.Dietrich, W. Künzel (Hg.): Schwangerschaft I. 4. Auflage. München 2000, 360.
  2. a b c d R. Rauskolb, W. Rascher: Zentralnervensystem. In: H.G. Bender, K.Dietrich, W. Künzel (Hg.): Schwangerschaft I. 4. Auflage. München 2000, 361.
  3. R. Rauskolb, W. Rascher: Zentralnervensystem. In: H.G. Bender, K.Dietrich, W. Künzel (Hg.): Schwangerschaft I. 4. Auflage. München 2000, 362.
  4. R. Rauskolb, W. Rascher: Zentralnervensystem. In: H.G. Bender, K.Dietrich, W. Künzel (Hg.): Schwangerschaft I. 4. Auflage. München 2000, 364.