Hirnforschung: Unterschied zwischen den Versionen

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Auch gegen Stress "ist ein Kraut gewachsen, das wirksamer ist als Kalorien und Hochprozentiges und außerdem deutlich gesünder. Eines der wirksamsten Mittel gegen Stress ist geborgene körperliche Nähe. In jedem Alter."<ref>Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 62.</ref>
Auch gegen Stress "ist ein Kraut gewachsen, das wirksamer ist als Kalorien und Hochprozentiges und außerdem deutlich gesünder. Eines der wirksamsten Mittel gegen Stress ist geborgene körperliche Nähe. In jedem Alter."<ref>Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 62.</ref>





Aktuelle Version vom 20. März 2019, 08:37 Uhr


Bücher

Thomashoff: Das gelungene Ich

"Die jüngsten Ergebnisse der Hirnforschung sind im wahrsten Sinne des Wortes revolutionär. Sie stellen das in unserer Gesellschaft propagierte Wertesystem auf den Kopf: Nicht Geld, nicht Leistung, nicht Dauerspaß sind die wichtigsten Säulen für ein zufriedenes Leben. Nein, an erster Stelle steht die Qualität der von uns gelebten Beziehungen. ... Ein erfülltes Leben ist keine Hexerei. Sondern wir selbst können die Grundlage dafür schaffen."[1]

Hans-Otto Thomashoff hat eine Erklärung, warum Menschen gerne an gelerntem festhalten, auch an Voruteilen: "Verstärkt wird diese Tendenz zum Beharren noch durch eine Eigenschaft unseres Gehirns selbst, die sich aus seiner biologischen Struktur heraus erklärt. Alles, was einmal in dieser Struktur gespeichert worden ist, wird, eben weil es nun schon vorhanden ist, gerne wiederverwendet. Die Biologie ist von Natur aus sparsam."[2]

1979 schloss Benjamin Libert Versuchspersonen an ein EEG an und ließ sie auf einen Knopf drücken. Dabei machte er eine interessante Entdeckung: Noch bevor die Personen bewusst die Entscheidung für ihre Handlung getroffen hatten, war am EEG zu erkennen, dass gleich die Handlung erfolgen würde. Ihr Unbewusstsein war ca. 0,3 sec schneller als ihr Bewusstsein. "Damit war klar, dass das Unbewusste undn nicht das Bewusstsein die entscheidende Instanz für die Auslösung der Handlung sein musste."[3]

Doch mit dieser Annahme, dass unser Unterbewusstsein uns steuert, irrte die Fachwelt: "Zwischen dem bewussten Erleben einer Entscheidung, im Falle seiner Versuchsteilnehmer eben jetzt den Knopf drücken zu wollen, und der aktiven Handlung selbst liegen 200 Millisekunden. Genau in diesem kurzen, aber entscheidenden Intervall kann das bewusste Kontrollzentrum des Gehirns, kann unser Verstand bis zuletzt ein Veto einlegen."[4]

"Berührt unsere Hand eine heiße Herdplatte, so ziehen wir sie unweigerlich zurück. Noch bevor wir auch nur den geringsten Gedanken daran verschwendet haben, denn unser Gehirn ist an dieser Handlung gar nicht beteiligt. Es handelt sich um einen simplen Reflex. Und für dessen Steuerung genügt allein das Rückenmark. Erst im Nachhinein wird uns unser Handeln überhaupt bewusst, registrieren wir im Gehirn, dass die Herdplatte heiß war und dass unsere Hand vielleicht deshalb jetzt ein wenig schmerzt, aber nicht Schlimmeres passiert ist."[5]

Epigenetik ist die Wissenschaft von dem, was unsere Gene steuert, ohne dass sie selbst dabei verändert werden. Der Begriff wurde 1942 erfunden. Damals waren die Gene noch gar nicht entdeckt.[6]

Die Umweltreize "lösen Reaktionen aus, bei denen diverse Botenstoffe freigesetzt werden, die durch An- und Abschalten unsere Gene steuern. Vor allem sind dies Hormone. Pausenlos sind sie aktiv, ganz besonders bei Stress, bei Angst, und in der Liebe. Hormone sind also die Vermittler zwischen Umwelt und Genen. Sie werden als Reaktion auf Außenreize freigesetzt und passen unsere genetische Aktivität an unsere Umwelt an."[7]

"In der Natur entsteht Stress bei jedem intensiven Reiz, besonders bei Gefahr. Dann aktiviert er Kampf oder Flucht. Neben den Akutstresshormonen sind dafür vor allem das Stresshormon Cortisol verantwortlich. Es wird in den Nebennierenrinden gebildet und kann im Körper überallhin gelangen, weil es aufgrund seiner besonderen chemischen Struktur ungehindert die Zellwände sämtlicher Zellen passieren kann, diejenigen unseres Zentralnervensystems eingeschlossen. Im Gehirn angekommen, aktiviert es dort direkt Gene, die zu aggressiverem Verhalten, also zur Kampfbereitschaft führen."[8]

"Eine noch ganz junge wissenschaftliche Erkenntnis belegt: Auch Epigenetik wird vererbt. Denn nicht nur die Gene, sondern auch epigentische Informationen werden in den Keimzellen transportiert, in den Eizellen der Frau und in den Spermien des Mannes. Die Umwelt wirkt damit bereits lange vor unserer Geburt auf uns ein, genau genommen schon vor dem Zeitpunkt unserer Zeugung."[9]

Brian Dias ließ Labormäuse einen Duftstoff schnuppern und verabreichte ihnen kurz danach unangenehme Stromschläge an ihren Pfoten. Als Folge davon bekamen die Mäuse Angst vor dem Duft, auch wenn keine weiteren Stromschläge erfolgten. Brian Dias ließ diese Mäuse mit anderen paaren, bei denen dieser Duft neutral war. Ihre Jungen, ja selbst noch die Enkel hatten Angst vor diesem Duftstoff. Wie dies genau über die Spermien funktioniert, weiß man noch nicht. Nur die Tatsache selbst ist hinreichend bewiesen. "Was für die kleine Säuger gilt, trifft wie so oft auch auf uns Menschen zu. Dias hat seine Forschungsarbeit mittlerweile ausgedehnt auf die Weitergabe von psychischen Traumen beim Menschen. Und es zeigt sich immer deutlicher, wie deren Auswirkungen über Generationen hinweg erhalten bleiben."[10]

Da das Stresshormon Cortisol alle Zellwände ungehindert überwinden, passiert es auch die Plazentaschranke. Eine gestresste Schwangere gibt somit ihrem ungeborenen Kind ihren erhöhten Cortisolspiegel ungefiltert weiter. Im Gehirn des Kindes aktiviert es die Gene, die die Stressempfindlichkeit und das spätere Aggressionsniveau des jungen Menschen bestimmen werden. Einmal stressempfindlicher, bleibt das Neugeborene dies "bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich ein Leben lang. Selbst als Erwachsener wird es sich nicht grundlegend ändern können."[11]

Am 28.01.1986 expolodierte 73 Sekunden nach dem Start in einer Höhe von 10 km die Raumfähre Challenger. Dabei starben 7 Astronauten. Ulric Neisser ließ sich von 44 seiner Studenten am nächsten Morgen schildern, an welchem Ort sie sich gerade aufhielten, als sie erstmalig von diesem Unglück hörten. Diese Berichte nahm er auf. 2,5 Jahre später befragte er diese 44 Studenten erneut. Bei keinem einzigen von ihnen entsprach die Erinnerung noch detailgentreu der zeitnahen Schilderung. Bei 1/3 von ihnen lagen die Angaben deutlich danaben. Aber alle hielten ihre Erinnerungen rückblickend für zutreffend. Keinem war die Tatsache seiner mehr oder weniger blühenden Fantasie bewusst.[12]

Sergei Sergejewitsch Korsakow beschrieb 1877 den geistigen Zerfall von Akoholikern. Indem Korsakow den Patienten zuhörte, erfuhr er besonders von denen mit den schlechtesten Gedächtnisleistungen die wildesten und buntesten Geschichten. Die Gedächtnislücken werden durch völlig freie Erfindungen ausgefüllt, solange sie nur dem Betroffenen logisch erscheinen: Der "aktuelle Aufenthaltsort, der ist keine Klinik, sondern ein Luxushotel. Der Herr in dem weißen Kittel dort, ist der Lieferant für die Getränke."[13]

Forscher zeichneten das EEG von Ratten auf, während sie einen für sie vorgefertigten Parcours abliefen. Als die Ratten einschliefen, fand sich das gleiche EEG-Muster, nur bis zu 20-fach schneller. "Offenkundig liefen die Ratten im Traum ihre gelernte Strecke noch ein paarmal im Geiste ab."[14]

"Einige Kaltblüter, Fische, Amphibien und Reptilien, kümmern sich um ihre Brut. Allerdings geschieht das bei ihnen noch instinktiv-mechanisch, ohne die dazugehörige emotionale Begleitmusik, denn ihre Gehirne besitzen kein limbisches System."[15]

"Entfernt man Hamstermüttern das Großhirn, so sind sie trotzdem noch in der Lage, ihre Jungen zu bemuttern. Entfernt man hingegen nur einen Teil ihres limbischen Systems, wird diese Fähigkeit komplett zerstört. Bindungen wirken tief und intuitiv und haben bei näherer Betrachtung meist nichts mit Verstand zu tun. Was der Alltag nahelegt, beweist auch die Wissenschaft."[16]

António Damásio spezialisierte sich auf Menschen mit Hirnschäden. Bei seinem Patienten Boswell fehlte nach einer Operation der Bereich für die bewusste Wiederekennung anderer Menschen. Boswell wurde somit von Pflegern betreut, die er bei jedem Zusammentreffen aufs Neue kennenlernte. Dies nutzte Damásio für einen Versuch: Er verteilte an die drei seiner Pfleger die Rollen, freundlich, neutral oder betont unfreundlich zu Boswell zu sein. Einige Zeit später forderte Damásio Boswell auf, einen der Pfleger nach Kaugummi oder Zigaretten zu fragen. Obwohl er keinen der Pfleger bewusst kannte, wählte Boswell intuitiv am häufigsten den freundlichen.[17]

Barry Komisaruk hat die EEG-Kurve einer Frau während eines Orgasmus über seinem Schreibtisch hängen. Die Frau war jedoch nach der vollständigen Durchtrennung ihres Rückenmarks oberhalb des Nabels querschnittgelähmt. Dass sie dennoch zu einem vaginalen Orgasmus kommen konnte, ermöglichte ihr der Vagusnerv. Er überbrückte das Rückenmark und befähigte die Frau, "auf diese Weise das Lusterleben zu erhalten. Wenn die Motivation uns antreibt, wird offenbar selbst das Unmögliche möglich."[18]

Auch gegen Stress "ist ein Kraut gewachsen, das wirksamer ist als Kalorien und Hochprozentiges und außerdem deutlich gesünder. Eines der wirksamsten Mittel gegen Stress ist geborgene körperliche Nähe. In jedem Alter."[19]






Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 11.
  2. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 14.
  3. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 17.
  4. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 19.
  5. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 18.
  6. Siehe: Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 23.
  7. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 24.
  8. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 24.
  9. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 25.
  10. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 26.
  11. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 30.
  12. Siehe: Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 33f.
  13. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 35.
  14. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 37.
  15. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 43.
  16. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 44.
  17. Siehe: Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 45.
  18. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 52.
  19. Hans-Otto Thomashoff: Das gelungene Ich. Die vier Säulen der Hirnforschung für ein erfülltes Leben. München 2017, 62.