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Ribert führte 1908 aus: "Alle unsere Erfahrungen kommen also darin Überein, daß das Gehirn, oder sagen wir genauer, das Zentralnervensystem völlig abstirbt... Die Ganglienzellen…werden früher als die anderen so sehr beeinträchtigt, daß ihr eigenes Leben und das des Übrigen Körpers damit nicht mehr vereinbar ist. Dann stirbt das Individuum. Der physiologische Tod ist ein Gehirntod."<ref>Wolfgang Wagner: Gemeinsamkeiten zwischen Hirntodkonzept und traditionellen Todeszeichenkonzepten. Überlegungen zu den anthropologischen Grundlagen der Feststellung des menschlichen Todes. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>
Ribert führte 1908 aus: "Alle unsere Erfahrungen kommen also darin Überein, daß das Gehirn, oder sagen wir genauer, das Zentralnervensystem völlig abstirbt... Die Ganglienzellen…werden früher als die anderen so sehr beeinträchtigt, daß ihr eigenes Leben und das des Übrigen Körpers damit nicht mehr vereinbar ist. Dann stirbt das Individuum. Der physiologische Tod ist ein Gehirntod."<ref>Wolfgang Wagner: Gemeinsamkeiten zwischen Hirntodkonzept und traditionellen Todeszeichenkonzepten. Überlegungen zu den anthropologischen Grundlagen der Feststellung des menschlichen Todes. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>








Im Jahr 1788 schrieb Pervinaire: "Das Gehirn ... theilt ... dem herzen und den Organen des Athemholens das Prinzip ihrer Thätigkeit und Bewegung mit, und bekommt von ihrem wiederum die zur Ernährung und Erhaltung des Lebensprinzips nöthige Menge Blut ... Diese beiden Organe, Herz und Gehirn, ... von den Werkzeugen des Athemholens unterstützt, ... müssen als die ... wesentlichen  Prinzipe des Lebens betrachtet werden. Alles, was den Mechanismus des einen zerstört, zerstört nothwendig auch die Wirkung des anderen."<ref>Pervinaire PJB (1788) Traité sur les Asphyxies ou Memoire sur la question suivante, quels sont les moyens, que la Medecine et la Police pourroient employer pour prèvenir les erreurs dangereuses des enterrement precipités? Paris. (Deutsche Übersetzung von BG Schreger: Abhandlund über die verschiedenen Arten des Scheintodes und über die Mittel, welche die Arzneikunde und Polizei anwenden können, um den gefährlichen Folgen allzufrüher Beerdigungen zuvorzukommen. Leipzig 1790.In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>
Im Jahr 1788 schrieb Pervinaire: "Das Gehirn ... theilt ... dem herzen und den Organen des Athemholens das Prinzip ihrer Thätigkeit und Bewegung mit, und bekommt von ihrem wiederum die zur Ernährung und Erhaltung des Lebensprinzips nöthige Menge Blut ... Diese beiden Organe, Herz und Gehirn, ... von den Werkzeugen des Athemholens unterstützt, ... müssen als die ... wesentlichen  Prinzipe des Lebens betrachtet werden. Alles, was den Mechanismus des einen zerstört, zerstört nothwendig auch die Wirkung des anderen."<ref>Pervinaire PJB (1788) Traité sur les Asphyxies ou Memoire sur la question suivante, quels sont les moyens, que la Medecine et la Police pourroient employer pour prèvenir les erreurs dangereuses des enterrement precipités? Paris. (Deutsche Übersetzung von BG Schreger: Abhandlund über die verschiedenen Arten des Scheintodes und über die Mittel, welche die Arzneikunde und Polizei anwenden können, um den gefährlichen Folgen allzufrüher Beerdigungen zuvorzukommen. Leipzig 1790. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>
In: H Steingießer: Was die Ärzte aller Zeiten vom Sterben wussten. Greifswald 1936.
In: H Steingießer: Was die Ärzte aller Zeiten vom Sterben wussten. Greifswald 1936.




Im "Encyclopäschischen Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften" von 1845 heißt es: "Der Gehirntod, d.h. der von plötzlich aufgehobener Innervation, ist jene Form des Sterbens, in welcher das Leben wie mit einem Schlage, ohne vorangegangene Zeichen Lungen- oder Herzaffection, ... erlischt. So wird ersichtlich, weshalb der vom Nervensysteme ausgehende Tod unter allen der plötzlichste ist, weil hier mit Eins das Wesen alles Lebens vernichtet, und jener Kreislauf des Sterbens durch die beiden anderen Organe (Herz und Lungen) gar nicht erst begonnen wird."<ref>Busch DWH, Dieffenbach JF, Hecker JFC, Horn E, Jüngken JC, Link HF, Müller J (Hg.) (1845) Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Berlin 1845. (Artikel "Tod", S. 550-589). In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>
Im "Encyclopäschischen Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften" von 1845 heißt es: "Der Gehirntod, d.h. der von plötzlich aufgehobener Innervation, ist jene Form des Sterbens, in welcher das Leben wie mit einem Schlage, ohne vorangegangene Zeichen Lungen- oder Herzaffection, ... erlischt. So wird ersichtlich, weshalb der vom Nervensysteme ausgehende Tod unter allen der plötzlichste ist, weil hier mit Eins das Wesen alles Lebens vernichtet, und jener Kreislauf des Sterbens durch die beiden anderen Organe (Herz und Lungen) gar nicht erst begonnen wird."<ref>Busch DWH, Dieffenbach JF, Hecker JFC, Horn E, Jüngken JC, Link HF, Müller J (Hg.) (1845) Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Berlin 1845. (Artikel "Tod", S. 550-589). Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>


Tönnis und Frowein schrieben im Jahr 1963: "Die Diagnose des eingetretenen Todes muß und darf gestellt werden" und weiter: "... muß der Stillstand der Hirndurchblutung als der Zeitpunkt des Todes gewertet werden".<ref>W. Tönnis, R.A. Frowein: Wie lange ist Wiederbelebung bei schweren Hirnverletzungen möglich? In: Mschr Unfallheilk 66 (1963). 169-207. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>
Tönnis und Frowein schrieben im Jahr 1963: "Die Diagnose des eingetretenen Todes muß und darf gestellt werden" und weiter: "... muß der Stillstand der Hirndurchblutung als der Zeitpunkt des Todes gewertet werden".<ref>W. Tönnis, R.A. Frowein: Wie lange ist Wiederbelebung bei schweren Hirnverletzungen möglich? In: Mschr Unfallheilk 66 (1963). 169-207. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>


Spann und Liebhardt schrieben im Jahr 1967, dass "nur der Funktionszustand des Gehirns für die Beurteilung von Leben und Tod ausschlaggebend" ist.<ref>W. Spann, E. Liebhardt: Tod und elektrische Stille im EEG. In: Münchner Medizinische Wochenschrift 108. 1410-1414. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.</ref>
Spann und Liebhardt schrieben im Jahr 1967, dass "nur der Funktionszustand des Gehirns für die Beurteilung von Leben und Tod ausschlaggebend" ist.<ref>W. Spann, E. Liebhardt: Tod und elektrische Stille im EEG. In: Münchner Medizinische Wochenschrift 108. 1410-1414. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.</ref>


Spann und Liebhardt veröffentlichten im Jahr 1967 das Ergebnis einer Befragung von EEG-Fachleuten, die ganz überwiegend angaben, die Stille des EEG (zusammen mit den klinischen Hirntodzeichen) als Todeskriterium zu akzeptieren.<ref>W. Spann, E. Liebhardt: Tod und elektrische Stille im EEG. In: Münchner Medizinische Wochenschrift 108. 1410-1414. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.</ref>
Spann und Liebhardt veröffentlichten im Jahr 1967 das Ergebnis einer Befragung von EEG-Fachleuten, die ganz überwiegend angaben, die Stille des EEG (zusammen mit den klinischen Hirntodzeichen) als Todeskriterium zu akzeptieren.<ref>W. Spann, E. Liebhardt: Tod und elektrische Stille im EEG. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Münchner Medizinische Wochenschrift 108. 1410-1414. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.</ref>


Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie am 20.06.1968 sagte Kautzky: "Man ist sich ja darüber klar geworden, daß der Tod des Menschen, was wir so einen Tod nennen, nicht in einem Augenblick zu einem Absterben aller Organe führt, sondern daß die einzelnen Organe hintereinander absterben, und manchmal sogar in einem ziemlichen Abstand. Es war daher naheliegend, sich zu fragen: Den Tod welches Organs wollen wir mit dem Tod des Menschen identifizieren? Sie wissen alle, daß man sich dazu entschlossen hat, wenigstens die meisten, den Gehirntod mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen."<ref>R. Kautzky, F. Böckle, H. Caspers, U. Gött, C. Roxin, W. Trillhaas: Der zentrale Atemstillstand, eine ärztliche Konfliktsituation. In: K.-A. Bushe (Hg.): Fortschritte auf dem Gebiet der Neurochirurgie. Stuttgart 1970, 44. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.</ref> Nach befürworteten Stellungnahmen der Theologen F. Böckle und W. Trillhaas sowie des Juristen C. Roxin fasste Kautzky zusammen: "Dann bestünde also sozusagen allgemeine Einigkeit darüber, zumindest dahin zu tendieren, den Partialtod des Gehirns als Tod des Menschen zu betrachten."<ref>R. Kautzky, F. Böckle, H. Caspers, U. Gött, C. Roxin, W. Trillhaas: Der zentrale Atemstillstand, eine ärztliche Konfliktsituation. In: K.-A. Bushe (Hg.): Fortschritte auf dem Gebiet der Neurochirurgie. Stuttgart 1970, 48. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.</ref> Wolfgang Wagner schreibt zu dieser Jahrestagung: "Daß auf einer eigens zu diesem Thema anberaumten, interdisziplinär besetzten Podiumsdiskussion sowohl medizinische als auch theologische und juristische Stellungnahmen zugunsten der These Gehirntod = Menschentod abgegeben wurden, beweist die zu dieser Zeit schon seit längerem vorherrschende Akzeptanz des Hirntodkonzeptes."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203f.</ref>






Wolfgang Wagner schreibt zusammenfassend: "Wenngleich die Bedeutung des Hirntodes im Rahmen des (Gesamt-)Todes schon vor Jahrhunderten erkannt bzw. vermutet wurde, so war ein isoliertes und über einen gewissen Zeitraum beobachtbares 'Hirntodsyndrom' doch nicht feststellbar, da ... der Hirntodmit einem sofortigen Atemstillstand gekoppeltist, der dann (wegen des Sauerstoffmangels) seinerseits innerhalb von wenigen Minuten den Herz/Kreislaufstillstand nach sich zieht. Erst die in den fünfziger Jahren aufkommende Techniken der Wiederbelebung und der künstlichen Beatmung machten so etwas wie einen 'dissoziierten Hirntod', d.h. das Erloschensein sämtlicher Hirnfunktionen bei künstlicher Aufrechterhaltung der Atmung (und Unterstützung weiterer wichtiger Vitalfunktionen) mit hierdurch für eine begrenzte Zeit (maximal wenige Tage) persistierender Spontantätigkeit des Herzens möglich."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202. Zitiert nach: https://torstensblog.wordpress.com/2009/07/12/die-okkupation-des-fleisches Zugriff am 18.12.2017.</ref>
Wolfgang Wagner schreibt zusammenfassend: "Wenngleich die Bedeutung des Hirntodes im Rahmen des (Gesamt-)Todes schon vor Jahrhunderten erkannt bzw. vermutet wurde, so war ein isoliertes und über einen gewissen Zeitraum beobachtbares 'Hirntodsyndrom' doch nicht feststellbar, da ... der Hirntodmit einem sofortigen Atemstillstand gekoppeltist, der dann (wegen des Sauerstoffmangels) seinerseits innerhalb von wenigen Minuten den Herz/Kreislaufstillstand nach sich zieht. Erst die in den fünfziger Jahren aufkommende Techniken der Wiederbelebung und der künstlichen Beatmung machten so etwas wie einen 'dissoziierten Hirntod', d.h. das Erloschensein sämtlicher Hirnfunktionen bei künstlicher Aufrechterhaltung der Atmung (und Unterstützung weiterer wichtiger Vitalfunktionen) mit hierdurch für eine begrenzte Zeit (maximal wenige Tage) persistierender Spontantätigkeit des Herzens möglich."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.</ref>
 
Über die deutsche Entwicklung im Jahre 1968 und den Harvard-Kriterien schreibt Wolfgang Wagner: "Die in diesem Zusammenhang meist als 'bahnbrechend' zitierten Harvard-Kriterien erschienen erst später (im August 1968) und wurden in den genannten Diskussionsbeiträgen bzw. Stellungnahmen auch nicht erwähnt (waren also den Fachleuten hierzulande offensichtlich auch nicht vorab bekannt). ... Eine auch nur einigemaßen faire Würdigung der Literatur der fünfziger und sechziger Jahre zeigt, wie lange und wie sehr man um die richtige Behandlung (im weitesten Sinne) dieser Patienten rang; die gelegentlich zu hörende Behauptung, Hirntote seien bis 1968 als Lebende behandelt und dann sozusagen kurzerhand 'zu Tode definiert' worden, beweist eine völlige Unkenntnis der Entwicklung in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 204.</ref>
 
Wolfgang Wagner über die Todeszeichen: "Keines dieser Zeichen (abgesehen von weit fortgeschrittener Fäulnis bzw. Verwesung) schließt aus, daß sich zum Zeitpunkt der Todesfeststellung noch biologische Lebenszeichen im Körper nachweisen lassen. Das befristete Andauern partieller Vitalfunktionen spricht nicht grundsätzlich gegen den eingetretenen Tod des Menschen. Andernfalls müßte z.B. nach dem Eintritt der Totenstarre und der Totenflecken der Tod des Menschen verneint werden, da sich zu diesem Zeitpunkt noch verschiedene 'Lebenszeichen' (supravitale Reaktionen) nachweisen lassen."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 205.</ref> Wagner weiter: "Aus dem bisher Gesagten ergeben sich viele grundsätzliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Hirntodkonzept und traditionellen Todeskonzepten. Insbesondere läßt sich zwanglos zeigen, daß eine Reihe von eher grundsätzlichen, gegen das Hirntodkonzept vorgebrachten und eingangs erwähnten Einwänden für jede Art der Todesfeststellung gilt (Abhängigkeit des Zeitpunktes der Todesfeststellung von äußeren Umständen, Möglichkeiten des diagnostischen Irrtums, zeitlich begrenztes Überdauern partieller Vitalfunktionen)."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 206.</ref>
 
Wolfgang Wagner stellt klar, dass "der Hirntod im Prozeß des Sterbens einen Punkt markiert, ab dem dieser Prozess mit Sicherheit unumkehrbar und in absehbar kurzer Zeit den Tod aller Zellen ('Totaltod') hinausläuft (selbst bei maximaler Intensivtherapie). Das bedeutet: der Hirntod ist nicht irgendeine Erkrankung oder Störung, mit der der Mensch mehr oder minder lang 'leben' könnte (wie etwa das apallische Syndrom), sondern ein Ereignis im Verlauf eines sicher innerhalb kurzer Zeit zum Totaltod führenden Prozesses."<ref>Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 206f.</ref>
 





Version vom 19. Dezember 2017, 12:26 Uhr


Ribert führte 1908 aus: "Alle unsere Erfahrungen kommen also darin Überein, daß das Gehirn, oder sagen wir genauer, das Zentralnervensystem völlig abstirbt... Die Ganglienzellen…werden früher als die anderen so sehr beeinträchtigt, daß ihr eigenes Leben und das des Übrigen Körpers damit nicht mehr vereinbar ist. Dann stirbt das Individuum. Der physiologische Tod ist ein Gehirntod."[1]



Im Jahr 1788 schrieb Pervinaire: "Das Gehirn ... theilt ... dem herzen und den Organen des Athemholens das Prinzip ihrer Thätigkeit und Bewegung mit, und bekommt von ihrem wiederum die zur Ernährung und Erhaltung des Lebensprinzips nöthige Menge Blut ... Diese beiden Organe, Herz und Gehirn, ... von den Werkzeugen des Athemholens unterstützt, ... müssen als die ... wesentlichen Prinzipe des Lebens betrachtet werden. Alles, was den Mechanismus des einen zerstört, zerstört nothwendig auch die Wirkung des anderen."[2] In: H Steingießer: Was die Ärzte aller Zeiten vom Sterben wussten. Greifswald 1936.


Im "Encyclopäschischen Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften" von 1845 heißt es: "Der Gehirntod, d.h. der von plötzlich aufgehobener Innervation, ist jene Form des Sterbens, in welcher das Leben wie mit einem Schlage, ohne vorangegangene Zeichen Lungen- oder Herzaffection, ... erlischt. So wird ersichtlich, weshalb der vom Nervensysteme ausgehende Tod unter allen der plötzlichste ist, weil hier mit Eins das Wesen alles Lebens vernichtet, und jener Kreislauf des Sterbens durch die beiden anderen Organe (Herz und Lungen) gar nicht erst begonnen wird."[3]

Tönnis und Frowein schrieben im Jahr 1963: "Die Diagnose des eingetretenen Todes muß und darf gestellt werden" und weiter: "... muß der Stillstand der Hirndurchblutung als der Zeitpunkt des Todes gewertet werden".[4]

Spann und Liebhardt schrieben im Jahr 1967, dass "nur der Funktionszustand des Gehirns für die Beurteilung von Leben und Tod ausschlaggebend" ist.[5]

Spann und Liebhardt veröffentlichten im Jahr 1967 das Ergebnis einer Befragung von EEG-Fachleuten, die ganz überwiegend angaben, die Stille des EEG (zusammen mit den klinischen Hirntodzeichen) als Todeskriterium zu akzeptieren.[6]

Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie am 20.06.1968 sagte Kautzky: "Man ist sich ja darüber klar geworden, daß der Tod des Menschen, was wir so einen Tod nennen, nicht in einem Augenblick zu einem Absterben aller Organe führt, sondern daß die einzelnen Organe hintereinander absterben, und manchmal sogar in einem ziemlichen Abstand. Es war daher naheliegend, sich zu fragen: Den Tod welches Organs wollen wir mit dem Tod des Menschen identifizieren? Sie wissen alle, daß man sich dazu entschlossen hat, wenigstens die meisten, den Gehirntod mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen."[7] Nach befürworteten Stellungnahmen der Theologen F. Böckle und W. Trillhaas sowie des Juristen C. Roxin fasste Kautzky zusammen: "Dann bestünde also sozusagen allgemeine Einigkeit darüber, zumindest dahin zu tendieren, den Partialtod des Gehirns als Tod des Menschen zu betrachten."[8] Wolfgang Wagner schreibt zu dieser Jahrestagung: "Daß auf einer eigens zu diesem Thema anberaumten, interdisziplinär besetzten Podiumsdiskussion sowohl medizinische als auch theologische und juristische Stellungnahmen zugunsten der These Gehirntod = Menschentod abgegeben wurden, beweist die zu dieser Zeit schon seit längerem vorherrschende Akzeptanz des Hirntodkonzeptes."[9]


Wolfgang Wagner schreibt zusammenfassend: "Wenngleich die Bedeutung des Hirntodes im Rahmen des (Gesamt-)Todes schon vor Jahrhunderten erkannt bzw. vermutet wurde, so war ein isoliertes und über einen gewissen Zeitraum beobachtbares 'Hirntodsyndrom' doch nicht feststellbar, da ... der Hirntodmit einem sofortigen Atemstillstand gekoppeltist, der dann (wegen des Sauerstoffmangels) seinerseits innerhalb von wenigen Minuten den Herz/Kreislaufstillstand nach sich zieht. Erst die in den fünfziger Jahren aufkommende Techniken der Wiederbelebung und der künstlichen Beatmung machten so etwas wie einen 'dissoziierten Hirntod', d.h. das Erloschensein sämtlicher Hirnfunktionen bei künstlicher Aufrechterhaltung der Atmung (und Unterstützung weiterer wichtiger Vitalfunktionen) mit hierdurch für eine begrenzte Zeit (maximal wenige Tage) persistierender Spontantätigkeit des Herzens möglich."[10]

Über die deutsche Entwicklung im Jahre 1968 und den Harvard-Kriterien schreibt Wolfgang Wagner: "Die in diesem Zusammenhang meist als 'bahnbrechend' zitierten Harvard-Kriterien erschienen erst später (im August 1968) und wurden in den genannten Diskussionsbeiträgen bzw. Stellungnahmen auch nicht erwähnt (waren also den Fachleuten hierzulande offensichtlich auch nicht vorab bekannt). ... Eine auch nur einigemaßen faire Würdigung der Literatur der fünfziger und sechziger Jahre zeigt, wie lange und wie sehr man um die richtige Behandlung (im weitesten Sinne) dieser Patienten rang; die gelegentlich zu hörende Behauptung, Hirntote seien bis 1968 als Lebende behandelt und dann sozusagen kurzerhand 'zu Tode definiert' worden, beweist eine völlige Unkenntnis der Entwicklung in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren."[11]

Wolfgang Wagner über die Todeszeichen: "Keines dieser Zeichen (abgesehen von weit fortgeschrittener Fäulnis bzw. Verwesung) schließt aus, daß sich zum Zeitpunkt der Todesfeststellung noch biologische Lebenszeichen im Körper nachweisen lassen. Das befristete Andauern partieller Vitalfunktionen spricht nicht grundsätzlich gegen den eingetretenen Tod des Menschen. Andernfalls müßte z.B. nach dem Eintritt der Totenstarre und der Totenflecken der Tod des Menschen verneint werden, da sich zu diesem Zeitpunkt noch verschiedene 'Lebenszeichen' (supravitale Reaktionen) nachweisen lassen."[12] Wagner weiter: "Aus dem bisher Gesagten ergeben sich viele grundsätzliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Hirntodkonzept und traditionellen Todeskonzepten. Insbesondere läßt sich zwanglos zeigen, daß eine Reihe von eher grundsätzlichen, gegen das Hirntodkonzept vorgebrachten und eingangs erwähnten Einwänden für jede Art der Todesfeststellung gilt (Abhängigkeit des Zeitpunktes der Todesfeststellung von äußeren Umständen, Möglichkeiten des diagnostischen Irrtums, zeitlich begrenztes Überdauern partieller Vitalfunktionen)."[13]

Wolfgang Wagner stellt klar, dass "der Hirntod im Prozeß des Sterbens einen Punkt markiert, ab dem dieser Prozess mit Sicherheit unumkehrbar und in absehbar kurzer Zeit den Tod aller Zellen ('Totaltod') hinausläuft (selbst bei maximaler Intensivtherapie). Das bedeutet: der Hirntod ist nicht irgendeine Erkrankung oder Störung, mit der der Mensch mehr oder minder lang 'leben' könnte (wie etwa das apallische Syndrom), sondern ein Ereignis im Verlauf eines sicher innerhalb kurzer Zeit zum Totaltod führenden Prozesses."[14]




Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Wolfgang Wagner: Gemeinsamkeiten zwischen Hirntodkonzept und traditionellen Todeszeichenkonzepten. Überlegungen zu den anthropologischen Grundlagen der Feststellung des menschlichen Todes. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.
  2. Pervinaire PJB (1788) Traité sur les Asphyxies ou Memoire sur la question suivante, quels sont les moyens, que la Medecine et la Police pourroient employer pour prèvenir les erreurs dangereuses des enterrement precipités? Paris. (Deutsche Übersetzung von BG Schreger: Abhandlund über die verschiedenen Arten des Scheintodes und über die Mittel, welche die Arzneikunde und Polizei anwenden können, um den gefährlichen Folgen allzufrüher Beerdigungen zuvorzukommen. Leipzig 1790. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.
  3. Busch DWH, Dieffenbach JF, Hecker JFC, Horn E, Jüngken JC, Link HF, Müller J (Hg.) (1845) Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften. Berlin 1845. (Artikel "Tod", S. 550-589). Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.
  4. W. Tönnis, R.A. Frowein: Wie lange ist Wiederbelebung bei schweren Hirnverletzungen möglich? In: Mschr Unfallheilk 66 (1963). 169-207. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.
  5. W. Spann, E. Liebhardt: Tod und elektrische Stille im EEG. In: Münchner Medizinische Wochenschrift 108. 1410-1414. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.
  6. W. Spann, E. Liebhardt: Tod und elektrische Stille im EEG. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Münchner Medizinische Wochenschrift 108. 1410-1414. Nach: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.
  7. R. Kautzky, F. Böckle, H. Caspers, U. Gött, C. Roxin, W. Trillhaas: Der zentrale Atemstillstand, eine ärztliche Konfliktsituation. In: K.-A. Bushe (Hg.): Fortschritte auf dem Gebiet der Neurochirurgie. Stuttgart 1970, 44. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.
  8. R. Kautzky, F. Böckle, H. Caspers, U. Gött, C. Roxin, W. Trillhaas: Der zentrale Atemstillstand, eine ärztliche Konfliktsituation. In: K.-A. Bushe (Hg.): Fortschritte auf dem Gebiet der Neurochirurgie. Stuttgart 1970, 48. Nach: Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203.
  9. Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 203f.
  10. Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 202.
  11. Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 204.
  12. Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 205.
  13. Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 206.
  14. Wolfgang Wagner: Hirntodkonzept und traditionelle Todeszeichenkonzepte. In: Ethik in der Medizin (1995), Nr. 7, 206f.