Wilder Penfield
Wilder Penfield (1891-1976) arbeitete mit Patienten, die wegen Epilepsie operiert wurden. Während das Gehirn freilag - die Patienten waren bei Bewusstsein - sondierte Penfield den Cortex mit einer Elektrode und notierte die jeweilige Reaktionen der Patienten. So enthüllte er die Bedeutung des Temporallappens für das Gedächtnis und identifizierte die für Bewegungskontrolle und körperliche Empfindungen zuständigen Areale des Cortex. So erstellte Penfield die erste detaillierte Karte menschlicher Gehirnfunktionen.[1]
Mitte der 1950-er Jahre führte Wilder Penfield eine Pionieruntersuchung an 500 Patienten durch. Hierzu wurden Patienten bei vollem Bewusstsein den Schädel geöffnet und mit schwachen Stromschlägen jene Punkte in der Hirnrinde stimulierte, von denen epileptische Anfälle ausgingen. Mit den Elektroden wurden abwechselnd die linke und die rechte Gehirnhälfte stimuliert. Dabei wurden verschiedene „geistige oder körperliche“ Reaktionen hervorgerufen. "Auf diese Reizung erfolgte sogleich eine lebhafte, intensive Halluzination von Musik, Menschen, und Szenen, welche die Patienten trotz der nüchternen Atmosphäre des Operationssaales als überwältigend real erlebten und den Anwesenden bis ins kleinste Detail schilderten."[2]
Penfield tastete Oberflächenbereiche der Hirnrinde von mehr als tausend Patienten ab. Gelegentlich rief der elektrische Reiz ein früheres Erlebnis hervor: Der Patient erinnerte sich an eine bestimmte Begebenheit. "Diese gedächtnisartigen Reaktionen wurden nun ausnahmslos bei Stimulation der Schläfenlappen evoziert."[3]
Howard Bloom schrieb 1997 hierzu:[4]
Als Penfield 1933 das geöffnete Gehirn von neurochirurgischen Patienten mit Elektroden stimulierte, berichteten sie von lebhaften und detaillierten Erinnerungen. Viele zogen daraus die heute noch akzeptierte Schlußfolgerung, daß das Gehirn hoch aufgelöste Aufzeichnungen der früheren Erfahrungen in sich abspeichert. Spätere Untersuchungen zeigten, daß diese Schlußfolgerung falsch war, denn viele der "Erinnerungen" waren fiktiv. Ein Patient erinnerte sich beispielsweise minutiös, wie er einmal beraubt wurde. Das Problem war nur, daß das in seinem Leben niemals geschehen ist. |
Rachel Riederer schrieb 2017 hierzu:
"Penfields Vorstellung von einem lückenlosen Protokoll des gesamten Lebens im Hirn, das nur darauf wartet, mit elektrischen Impulsen abgelesen zu werden, hat sich nicht bewahrheitet. Doch das Konzept, dass sich beim Speichern von Erinnerungen eine physische Veränderung im Hirn vollzieht, wurde weiterentwickelt. Inzwischen eröffnet die Forschung immer mehr Möglichkeiten zur Manipulation und Verbesserung der menschlichen Erinnerung."[5]
Anhang
Anmerkungen
Einzelnachweise
- ↑ Rita Carter: Das Gehirn. Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. München 2010, 10.
- ↑ Birgit Langeder: The Man Who: neurologische Fallstudien als szenisches Spiel auf der Bühne von Peter Brook. (2016), 86. Nach: http://birgit-langeder.at/wp-content/uploads/2016/11/Diplomarbeit-THE-MAN-WHO-2002.pdf Zugriff am 21.05.2021.
- ↑ Eric R. Kandel, Robert D. Hawkins: Molekulare Grundlagen des Lernens. In: Spektrum (01.11.1992). Nach: https://www.spektrum.de/magazin/molekulare-grundlagen-des-lernens/944581 Zugriff am 21.05.2021.
- ↑ Howard Bloom: Werkzeuge der Wahrnehmung: die Konstruktion der Wirklichkeit - 50 Millionen bis 35000 Jahre. (29.10.1997) Nach: https://www.heise.de/tp/features/Werkzeuge-der-Wahrnehmung-die-Konstruktion-der-Wirklichkeit-50-Millionen-bis-35000-Jahre-3412868.html Zugriff am 21.05.2021.
- ↑ Rachel Riederer: Die Zukunft der Erinnerung: Wie Forscher schon heute das Gedächtnis manipulieren können. (16.04.2017) Nach: https://www.vice.com/de/article/z4dbb9/die-zukunft-der-erinnerung-wie-forscher-schon-heute-das-gedachtnis-manipulieren-konnen Zugriff am 21.05.2021.