Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Chirurgen. Der Sitz ist Berlin.
Link: http://www.dgch.de
1968
Eine von der DGCH beauftragte Kommission für Reanimation und Organtransplantation hat die folgende Stellungnahme ausgearbeitet:[1][2]
Grundsätzlich können aus medizinischer Sicht als Zeichen des Todes wie bisher die fehlende Atmung und Herztätigkeit sowie die sekundären Erscheinungen der Abkühlung, Muskelstarre und Totenflecken gelten.
In Sonderfällen kann sich unter den Methoden einer modernen Reanimation (Herzmassage, künstliche Beatmung) der Prozess des Sterbens jedoch so verändern, daß es nicht mehr ohne weiteres möglich ist, die Todeserklärung allein auf Grund eines Atem- und Kreislaufstillstandes auszusprechen. Es ist vielmehr notwendig, diese Kriterien dann in eine Analyse des gesamten Krankheits- und Unfallverlaufes einzubeziehen. Dabei ist vor allem der Zustand des Gehirns und dessen Abhängigkeit vom Kreislauf zu berücksichtigen.
Da ein zeitlich begrenzter, desintegrierter Fortbestand peripherer Organfunktionen vorkommt, ist in Zweifelsfällen der Todeszeitpunkt vom Organtod des Gehirns abhängig zu machen. Hierunter ist die grobanatomische oder feinstrukturelle Zerstörung des Gehirns in seiner Gesamtheit zu verstehen, die zur Auflösung der biologischen Funktionseinheit führt und nach einem kürzerem oder längerem Zeitintervall den definitiven Verfall peripherer Organfunktionen nach sich zieht.
In der Praxis ergeben sich im wesentlichen drei verschiedene Situationen:
I. Der Gehirntod ist anzunehmen, wenn
1. die bisher gültigen Todeskriterien vorhanden sind oder
2. nach einer therapeutsch nicht mehr beeinflußbaren Kreislaufdepession ein Atem- und Herzstillstand eintritt;
a) am Ende einer progredienten und unheilbaren Krankheit auf Grund des definitiven, unersetzlichen Verlustes eines lebenswichtigen Organs oder
b) bei fortschreitendem Verfall der vitalen Funktionen in ihrer Gesamtheit.
Hierbei besteht zwar eine geringe zeitliche Differenz von wenigen Minuten zwischen Herzstillstand und Gehirntod. Trotzdem darf der Gehirntod bereits zum leichter faßbaren Zeitpunkt des Herzstillstandes postuliert werden, um so mehr als in Anbetracht der inkurablen Gesamt-Situation Wiederbelebungsmaßnahmen nicht indiziert sind.
II. Der Gehirntod ist schon vor dem Aussetzen der Herzaktion bewiesen, wenn es im Falle einer direkten Schädigung des Gehirns durch äußere Gewalteinwirkung oder intracraniellen Druckanstieg
1. zu folgenden gleichzeitigen Ausfallerscheinungen des Zentralnervensystems über 12 Stunden kommt:
a) Bewusstlosigkeit,
b) fehlende Spontanatmung,
c) beidseitige Mydriasis und fehlende Lichtreaktion,
d) isoelektrische Linie im Elektroencephalogramm unter angemessenen Ableitungsbedingungen während einstündiger kontinuierlicher Beobachtungsdauer,
e) Fortbestand der Kriterien a-c und nochmaliger Nachweis der isoelektrischen Linie im EEG (wie bei d) nach 12 Stunden, oder wenn es aus den gleichen Ursachen
2. zu einem angiographisch nachgewiesenen intracraniellen Kreislaufstillstand kommt und diese cerebrale Zirkulationsunterbrechung wenigstens 30 min bestanden hat.
III. Der Gehirntod ist noch nicht anzunehmen, wenn es wegen zentraler oder peripherer Ateminsuffizienz oder wegen Ursachen, die von der Atmung unabhängig sind, zu einem Herzstillstand kommt, aber das Zentralnervensystem bis dahin intakt oder erfahrungsgemäß erholungsfähig war. Handelt es sich bei dem Unglücks- oder Zwischenfall, der zum Atem- und Herzstillstand führte, um eine akute Ursache sui generis, die momentan beseitigt werden kann, so ist zunächst mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen, sofern die Wiederbelebungszeit des Gehirns wahrscheinlich noch nicht überschritten ist. Im weiteren Verlauf ergeben sich zwei Möglichkeiten:
1. Die spontane Herzaktion setzt trotz adäquater Herzmassage nicht wieder ein. In diesem Fall gilt der Eintritt des primären Kreislaufstillstandes als Todeszeitpunkt.
2. Die Herzaktion kommt zwar wieder zustande, der Patient bleibt jedoch bewußtlos und ohne Spontanatmung. Er gilt dann als lebend und ist nach den üblichen Regeln der Intensivpflege zu behandeln, solange die üblichen Zeichen des Gehirntodes (s. II.) nicht erfüllt sind.
Die Deutsche Gesellschaft der Chirurgie erkennt die Notwendigkeit, diese Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt zu veröffentlichen.
Dieser Stellungnahme schließt sich die Deutsche Gesellschaft für Anaesthesie und Wiederbelebung an.
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Der "Kommission für Reanimation und Organtransplantation der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie" gehörten an:
- Prof. Linder, Heidelberg, Chirurgie
- Doz. Wawersik, Heidelberg, Anästehesie
- Prof. Hanack, Heidelberg, Rechtslehre
- Prof. Heberer, Köln, Chirurgie
- Prof. Loew, Homburg (Saar), Neurochirurgie
- Prof. Wiemers, Freiburg, Anästesie
1968 gehörten der DGCH 2.547 Mitglieder an. Zur Erklärung siehe auch Bay. Äbl.[3]
Anhang
Anmerkungen
Einzelnachweise
- ↑ Linder, Wawersik, Hanack, Heberer, Loew, Wiemers: Todeszeichen und Todeszeitbestimmung. In: Der Chirurg (1968) 39, 196f.
- ↑ Der Anaesthesist 18 (1969), 95.
- ↑ Stellungnahme der Kommission für Reanimation und Organtransplantation der Deutsche Gesellschaft für Chirurgie In: Bay. Äbl. 23 (1968), 342f.