SAMW 1983

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Richtlinie für die Definition und die Diagnose des Todes (1983)

Am 06.05.1983 beschloss die SAMW die "Richtlinie für die Definition und die Diagnose des Todes".[1] Darin heißt es:

Vorwort zur Neuauflage 1989

Die grosse Neuafrage hat einen Neudruck der medizinisch-ethischen Richtlinie nögig gemacht. In die vorliegende Neuauflage wurde der Text der Ausgabe vom November 1981 übernommen mit zwei Ausnahmen:
- Die Lichtlinien für die Definition und die Diagnose des Todes wurden in einer neuen Fassung im Mai 1983 vom Senat genehmigt.
- Ziffer III/3 des Kommentars zu den Richtlinien für die Sterbehilfe wurde nach Genehmigung durch den Senat im Juni 1988 ersetzt.

Prof. B. Courvoisier
Präsident der Zentralen medizinisch-ethischen Kommission der Akademie

Prof. A. Pltscher
Präsident der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften.

März 1989

Einleitung

Die medizinische Ethik umfasst weitreichende Gebiete, die immer wieder neue Fragen aufwerfen. Ethische Entscheidungen verlangen in gleicher Weise wissenschaftliche Überlegungen wie praktische Stellungnahmen. Eine intensive Zusammenarbeit der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften und der Verbindung der Schweizerischen Ärzte ist deshalb notwendig und hat sich bewährt, denn der Arzt ist durch die Verbundenheit und die Verwurzelung in einer Gemeinschaft den ethischen Grundsätzen seiner Zeit und seines Landes eng verpflichtet. Es wird geleitet durch seine Haltung, sein fachliches Können und seine Bereitschaft, sich dem Patienten, dem körperlich Kranken oder seelisch Belastenden zuzuwenden und ihn als Menschen zu verstehen.
Für die Tätigkeit von Ärzten und Forschern sollen medizinische Richtlinien Wegleitungen bieten. 1969 bis 1976 hat die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften bereits drei Richtlinien herausgegeben, so 1969 für die Definition und die Diagnose des Todes, 1970 für Forschungsuntersuchungen am Menschen und 1976 für die Sterbehilfe. In den letzten Jahren hat die Akademie sich mit weiteren medizinisch-ethischen Fragen beschäftigt, die in verschiedenen Subkommissionen und dann ab November 1979 in einer Zentralen medizinisch-ethischen Kommission eingehenden beraten wurden. Die gedankliche Aussprache fand ihren Niederschlag in einem Symposium vom 28./29. März 1980 in Basel über 'Ethik und Medizin - Die Würde des Patienten und die Fortschritte der Medizin'. Ethische Stellungnahmen und Leitlinien für das Vorgehen der Ärzte wurden von Vertretern der Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Psychologie sowie von Ärzten aus verschiedenen Fachbereichen und Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenschwestern dargelegt und zur Diskussion gestellt. Anschliessend sind von der Zentralen medizinischen-ethischen Kommission der SAMW medizinische Richtlinien in den Sitzungen vom 18. November 1980 und vom 24. Februar 1981 verabschiedet und dann dem Senat der Akademie vorgelegt worden.

Die am 17. November 1981 vom Senat in zweiter Lesung genehmigten und hier wiedergegebenen Richtlinie sind die folgenden:

  1. Richtlinien der Zentralen medizinisch-ethischen Kommission der SAMW (Tätigkeit und Organisation) S.S. 4.
  2. Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen, s.S. 6.
  3. Richtlinie für die Sterbehilfe, s.S. 12.
  4. Medizinisch-ethische Richtlinien zur Transplantation, s.S. 19.
  5. Zu 4. beigefügt: Richtlinie für die Definition und die Diagnose des Todes, s.S. 21.
  6. Medizinisch-ethische Richtlinien für die artifizielle Insemination, s.S. 26.
  7. Medizinisch-ethische Richtlinie zur Sterilisation, s.S. 28.

Prof. O. Gesll
Präsident des Zentralen medizinisch-ethischen Kommission der Akademie

Prof. R.-S. Mach, Prof. A. Cerletti
Präsidenten der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften

17. November 1981 (S. 1f)


Richtlinie für die Definition und die Diagnose des Todes
  1. Die Entwicklung der Reanimationstechnik hat es notwendig gemacht, die Kriterien des menschlichen Todes neue festzulegen.
  2. Es ist möglich, beim Menschen den Ausfall der Atemfunktion durch künstliche Beatmung und den der Herztätigkeit durch Herzmassage und künstlichen Kreislauf zu kompensieren.
  3. Es ist nicht möglich, die gesamthaften Auswirkungen des vollständigen irreversiblen Funktionsausfalls des Gehirns, einschließlich des Hirnstammes, durch irgendwelche Maßnahmen zu beheben. Ein solcher Funktionsausfall führt zwangsläufig zum Tode des gesamten Organismus und ist daher dem Tod gleichzusetzen.
    Definition und Diagnose des Todes
  4. Ein Mensch ist als tot zu betrachten, wenn eine oder beide der folgenden Bedingungen erfüllt sind:
    a) irreversibler Herzstillstand mit der dadurch unterbrochenen Blutzirkuklation im Organismus und damit auch im Gehirn;
    b) Vollständiger, irreversibler zerebraler Funktionsausfall oder Tod des Gehirns.
  5. Der vollständige, irreversible zerebrale Funktionsausfall des Gehirns, einschließlich des Hirnstammes, trotz vorhandener Herzaktion, ist anzunehmen bei normo- oder hypothermen menschlichen Organismus, wenn jeglicher Einfluss von muskelrelaxierenden oder zentralnervös dämpfenden Substanzen, jegliche Vergiftung und jegliches Koma metabolischer Ursache mit Sicherheit ausgeschlossen und die nachfolgenden Todeszeichen gleichzeitig und während mindestens 6 Stunden vorhanden sind:
    1. Tiefe Bewusstlosigkeit genau bekannter Ursache.
    2. Beide Pupillen weit und lichtstarr.
    3. Fehlen des okulo-zephalen Reflexes (Fehlen von Bulbusbewegungen bei rascher passiver Kopfrotation).
    4. Fehlen des Kornealreflexes.
    5. Fehlen jeglicher Reaktion auf schmerzhafte Trigeminusreizung (starker Druck auf die Austrittsstelle des zweiten Astes, unterhalb des Orbita-Unterrandes).
    6. Fehlen des Hustenreflexes (beim Absaugen in den Bronchien) und des Pharyngenalrefelxes (beim Berühren der Pharynxhinterwand).
    7. Fehlen der Spontanatmung: Apnoe (siehe Spezielle Anmerkung lit. a).
    8. Das Weiterbestehen rein rückenmarksbedingter Reflexe und Rückzugsbewegungen der Gliedmassen bei schmerzhafter Reizung ist mit der Diagnose des Hirntodes vereinbar.
  6. Die unter 5.1 bis 5.8 erwähnten klinischen Zeichen genügen zur Erhärtung der Hirntoddiagnose, wenn eine eindeutige primäre Hirnschädigung vorliegt.
  7. Im Falle einer Hirnschädigung durch Anoxie oder schwere metabolische Störungen müssen die unter 5.1 bis 5.8 erwähnten Zeichen während mehr als 48 Stunden nachweisbar sein. Im Falle einer Vergiftung muss die Ausscheidung des Giftes bewiesen sein.
  8. Weitere Kriterien des Hirntodes sind:
    1. Totaler intrakranieller Kreislaufunterbruch, nachgewiesen durch Kontrast-Arteriographie der 4 Hirnartierien oder Radioisotphen-Angiographie.
    2. Ein intrakranieller Druck, der bei fortlaufender Messung den systolischen Blutdruck während mehr als 20 Minuten übersteigt.
  9. Als Zeitpunkt des Todes ist derjenige der Diagnose des Todes.
  10. Nur ein Arzt ist befähigt, den Tod festzustellen.
  11. Da der Hirntod dem Tod gleichgesetzt ist,
    a) ist der Arzt befugt, die künstliche Beatmung und die Kreislaufunterstützung endgültig abzusetzen;
    b) ist die Entnahme überlebender Organe zulässig.
  12. Ist bei primärem Hirntod die Entnahme von Organen vorgesehen, so muss er durch einen für die Diagnose zuständigen, vom Transplantationteam unabhängigen Arzt bestätigt werden.(S. 21f)
Spezielle Anmerkungen

a) Apnoetest

Der spontane Atemstillstand kann nur festgestellt werden bei einem Patienten mit einer paCO2 größer als 50 mm Hg (6,65 Kpa) und einem arteriellen Blut-pH tiefer als 7,4. Bei Anwendung der Technik der Sauerstoffzufuhr durch Diffusion kann der Apnoe-Test ohne die Gefahr einer Hypoxämie durchgeführt werden.

b) Die Hirntoddiagnostik bei Kindern (bis zum 5. Lebensjahr):

Die oben erwähnten Kriterien des Hirntodes sind auch bei Kindern anzuwenden, obwohl sie hauptsächlich am Erwachsenen erarbeitet worden sind. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass die Ursachen einer Hirnschädigung und die Mechanismen der Bewusstlosigkeit beim Kind, insbesondere beim Neugeborenen, sich häufig von denjenigen des Erwachsenen unterscheiden und dass die funktionellen Erholungsmöglichkeiten des kindlichen Gehirns diejenigen eines Erwachsenen übersteigen. Aus diesem Grunde müssen die neurologischen Zeichen des Hirntodes beim Kinde während mindestens 24 Stunden nachweisbar sein. Zusätzliche Untersuchungen zum Nachweis des Unterbruch des zerebralen Blutkreislaufes können in gewissen Fällen nötig sein.

c) Spezialfall Hypothermie:

Eine primäre Hypothermie mit einer Temperatur unter 32,3°C muss ausgeschlossen sein, da sie einen Hirntod vortäuschen kann. Dagegen ist eine sekundäre Hypothermie infolge einer Hirnzerstörung ein weiteres Hirntodkriterium.

d) Elektroenzephalogramm: Ein Elektroenzephalogrammm kann zum Beispiel beim metabolischen Koma die klinische Untersuchunng vervollständigen. In diesen Fällen muss das Elektroenzephalogramm im Abstand von 24 Stunden zweimal das völlige Fehlen jeglicher Hirnstromaktivität zeigen. Die Diagnose einer Nullkurve muss durch einen Spezialarzt verifiziert werden. Sie kann nur gestellt werden, wenn die durch die Schweizerische Vereinigung für Elektroenzephalographie und klinische Neurophysiologie definierten technischen Vorschriften und Methoden befolgt werden. (S. 23)

Kommentar zu den neuen Richtlinien für die Definition und die Diagnose des Todes

Wir haben uns bemüht, ausschliesslich klinische Kriterien vorzuschlagen, die sowohl den Ärzten der Regional als auch der Universitätsspitäler erlauben, die Diagnose des Hirntodes zu stellen. Aus diesem Grunde haben wir die zusätzlichen Untersuchungen wie die Angiographie und das EEG als zweitrangig eingestuft. Wir haben dafür eine höhere Genauigkeit bei der Definition der klinischen Kriterien erreicht. Diese gleichen klinischen Kriterien sind übrigens neuerdings in der Bundesrepublik Deutschland, in Grossbritannien und in der Mehrzahl der Bundesstaaten der USA anerkannt.
Man muss wissen, dass der Tod kein zeitlich genau definiertes Ereignis ist, sondern dass es sich um einen Entwicklungsprozess handelt. Es geht deshalb darum, den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem im Ablauf dieser Entwicklung der unwiderrufliche Zustand des kompletten, andauernden und irrreversiblen Versagens des Gehirns und des Hirnstammes eingetreten ist. Die klinische Untersuchung der Funktionen des Hirnstammes ist besonders wichtig, weshalb wir die am leichtesten zu prüfenden Reflexe im Detail aufgeführt haben und weshalb wir so grossen Wert darauf legen, dass die Bedingungen für die Definition der Apnoe genau festgelegt sind. Die klinischen Kriterien müssen absolut zuverlässig feststellbar sein; die Möglichkeit von falsch positiven Befunden kann nicht akzpeptiert werden. Eine kürzlich in England durchgeführte Studie mit mehr als 600 Patienten in drei verschiedenen Zentren hat gezeigt, dass die auch von uns verwendeten klinischen Kriterien hundertprozentig zuverlässig sind für die Diagnose des Todes.[2] Genau wie in unseren Richtlinien erlauben auch diese Kriterien das Fortbestehen einer Rückenmarksaktivität. (S. 24)

Als allgemeine Regel glauben wir, dass keine unnötige Eile geboten ist, diese Diagnose zu stellen; deshalb schlagen wir auch genaue Zeitabschnitte vor, während derer die klinischen Zeichen bestehen müssen. Es ist wichtig, zwischen dem 'primären' Hirntod, basierend auf einem klar ersichtlichen Grund und dem 'sekundären' Hirntod oft unklarer Genese zu unterscheiden. In diesem zweiten Fall muss die klinische Beobachtungsdauer länger sein, und es kann zu zusätzlichen Untersuchungen wie der Angiographie und dem EEG gegriffen werden. Diese Untersuchungen ersetzen aber niemals die klinische Untersuchung und gestatten es alleine nicht, die Diagnose des Todes zu stellen. Wir haben ebenfalls ganz deutlich auf die Besonderheiten bei Kindern hingewiesen; die Möglichkeit der Wiederherstellung der Funktionen des zentralen Nervensystems übertrifft diejenige der Erwachsenen bei weitem, selbst nach langen Perioden der Bewusstlosigkeit.

Folgende Ärzte haben sich an der Ausarbeitung beteiligt:

  • Dr. R. Chiolero, anesthésiste-rèanimateur, responsable des Soins intensifs chirurgiccaux du CHUV
  • Dr. Th. Deonna, p.-d., neuro-pédiatre
  • Dr. P.A. Despland, p.-d., responsable du Centre EEG du CHUV
  • Prof. C. Perret, médicin-chef des Soins intensifs médicaux et du Centre respiratoire du CHUV
  • Prof. F. Regli, chef du Service de neutologie du CHUV
  • Dr. N. de Tribolet, p.-d., médicein-adjoinet en neurochirurgie, CHUV

25. Januar 1969
und 6. Mai 1983 (S. 24f)

Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. SAMW: Richtlinie für die Definition und die Diagnose des Todes. (1983) Nach: https://www.assm.ch/dam/jcr:3751a314-85fe-44ed-bd00-a1f058293879/richtlinien_samw_definition_und_diagnose_des_todes_1983.pdf Zugriff am 04.09.2020.
  2. Jennet B. Gilecave J. Wilson P.: Brain death in three neurosourgical waits. Brit. med. J. 1981/S. 533-539.