Therapieziel Hirntod
Vorbemerkung
Nachfolgende Tabelle zeigt auf, worin sich der Zustand des Patienten bei Patientenverfügung[Anm. 1] und bei festgestelltem Hirntod unterscheidet. Hirntote im Vergleich mit Patienten, bei denen nach Patientenverfügung das Therapieende gewünscht wird.
Fähigkeit | Patientenverfügung | Hirntod | |
---|---|---|---|
Kommunikation | sich mitteilen können | unmöglich | unmöglich |
Können | gehen, sprechen, singen, musizieren, balancieren | unmöglich | unmöglich |
Wahrnehmung | sehen, hören, riechen, schmecken, tasten | möglich | unmöglich |
Bewusstsein | denken, planen, erfinden, kreativ etwas erschaffen | möglich | unmöglich |
Erinnerung | was man erlebt hat (DuL) | möglich | unmöglich |
Wissen | was wir gelernt haben (DuL) | möglich | unmöglich |
Gefühle | Liebe, Hass, Vertrauen, Angst, Hoffnung, Sorge | möglich | unmöglich |
Eigenatmung | atmet selbstständig, wenn auch schwer | möglich | unmöglich |
Hirnstammreflexe | Licht-, Lidschluss-, ... Atem-Reflex | vorhanden | nicht vorhanden |
Homöostase | Körpertemperatur, Wasserhaushalt | gestört | sehr gestört |
Herzschlag | vorhanden | vorhanden | |
Verbesserung des Zustandes? | sehr unwahrscheinlich | völlig unmöglich | |
gewünscht | Mord? |
Das "unmöglich" ist beim Hirntod deswegen dauerhaft, weil die Gehirnzellen im Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm seit Eintritt des Hirntodes so schwer geschädigt sind, dass sie nicht nur nie wieder funktionieren werden (irreversibel). Sie befinden sich in einem so weit fortgeschritten Sterbeprozess, dass dieser unaufhaltsamen geworden ist und der nach Tagen des Hirntodes mit der Auflösung des Gehirns (Autolyse) endet. |
Therapieziel Hirntod
Unter "Therapieziel Hirntod" versteht Prof. Erbguth diese Situation:[1]
Ein Patient mit schwerer Hirnschädigung liegt mit infauster Prognose auf der Intensivstation. Es liegt eine Patientenverfügung (PV) vor, die in diesem Falle eine Beendigung der Therapie verlangt.
Gleichzeitig liegt jedoch auch ein Organspendeausweis (OSA) vor, der zur Organspende zustimmt.
Hieraus ergeben sich für das Personal auf der Intensivstation verschiedene Fragen. Die Kernfragen lauten: Darf oder soll weiterbehandelt werden, weil man im Verlauf der nächsten Stunden und Tage den Eintritt des Hirntodes erwartet, um dann die Organentnahme vornehmen zu dürfen? Wie lange soll man dies versuchen?
Hoffnung auf Genesung | Wirksamkeit der PV | Hirntod |
---|---|---|
Es wird alles getan, um das Leben des Patienten zu retten und seine Gesundheit wieder herzustellen. | Es ist ein Zustand erreicht, den der Patient nicht wollte und mit der PV verfügte, dass hierbei die Behandlung beendet werden soll. | Nach festgestelltem Hirntod können die Organe entnommen werden. |
heutige Möglichkeiten | ||
Möglichkeit A | Der PV wird entsprochen; Therapie wird beendet | keine Organentnahme möglich |
Möglichkeit B | Dem OSA wird entsprochen; Hirntod wird nicht erreicht | keine Organentnahme möglich |
Möglichkeit C | Dem OSA wird entsprochen; Hirntod wird erreicht | Organentnahme möglich |
Möglichkeiten mit entsprechender Gesetzesänderung | ||
Möglichkeit a | Es wird nach DCD verfahren. | Organentnahme ist möglich, aber kein Herz |
Möglichkeit b | Wenn unten genannten 3 Punkte erfüllt sind, soll ein Ethikkomitee die Organentnahme ohne Hirntod beschließen. | Organentnahme ist möglich, ohne Schaden eines Herzstillstandes |
Eine pragmatische und - wie ich meine - ethisch vertretbare Lösung ist: Wenn alle diese Punkte erfüllt sind:
a) eine Patientenverfügung vorliegt
b) ein Organspendeausweis vorliegt
c) ein Zustand erreicht ist, bei dem nach Patientenverfügung die Therapie beendet werden soll,
sollten die Organe entnommen werden können. Dies bedarf jedoch einer Änderung im TPG.
Begründung:
Die Medizin steht in dem Dilemma, dass sie zwei sich widersprechende Wünsche des Patienten hat: Er will einerseits im vorliegenden Zustand mit dieser Prognose das Ende der Therapie. Er will andererseits jedoch seine Organe spenden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Hirntod festgestellt ist. Dieser muss nun abgewartet werden. Durch die vorausgegangenen besseren Behandlungsmethoden (u.a. Entlastung des Gehirns durch Schädelöffnung) hat der Patient eine infauste Prognose, aber es ist unsicher, ob er in den Hirntod stirbt. Der Hirntod tritt - wenn überhaupt - später ein.
Ohne diese besseren Behandlungsmethoden verstarben solche Patienten häufiger den Hirntod. Es wurden ohne ihnen auch weniger Menschen das Leben gerettet. Mit diesen besseren Behandlungsmethoden wird mehr Menschen das Leben gerettet, aber bei denen es nicht möglich ist, sterben auch weniger den Hirntod. Segen und Fluch des medizinischen Fortschritts. Es gilt, gut damit umzugehen.
Wie viele Tage soll man auf den Eintritts des Hirntodes warten? Durch die vorausgegangene bessere Behandlung sterben viele Patienten nicht in den Hirntod, sondern haben irgendwann ein Kreislaufversagen. Diese Menschen fehlen letztlich als Organspender. Sie tauchen in keiner Statistik auf, weil sie nicht den Hirntod gestorben sind.
Ohne entsprechende Änderung des TPG kommen wir hier zu keiner Lösung.
Aus momentaner Sicht zeichnen sich diese beide Möglichkeiten ab:
a = DCD
"Donation after cardiac death" (DCD) - früher "Non-heart-beating donation" (NHBD)(engl. Nicht-Herz schlagen Spender) - bietet die Möglichkeit, dass bei solchen Patienten künstlich ein Herzstillstand für 10 Minuten herbeigeführt werden kann, was damit dem Hirntod gleichkommt. Somit sind auch ohne Feststellung des Hirntodes die Kriterien für die Organentnahme gegeben.
b = Ethikkomitee
Wenn o.g. 3 Bedingungen erfüllt sind, soll ein Ethikkomitee aus Angehörigen, Pflegekraft, Klinikseelsorger und behandelnden Arzt einstimmig entscheiden, dass jetzt statt Beendigung der Therapie eine Organentnahme vorgenommen werden soll. Hierbei ist eine Vollnarkose zu geben.
Möglichkeit b finde ich aus mehreren Gründen heraus als den pragmatischeren:
- Es ist weniger Aufwand.
- Es werden die Organe geschont. Es kann somit auch das Herz transplantiert werden, was bei DCD nicht möglich ist.
Anhang
Anmerkungen
- ↑ Es ist ein medizinischer Zustand erreicht, den der Patient bei vorliegender Patientenverfügung nicht wollte. Bei diesem Zustand und dieser Prognose wünscht der Patient die Beendigung der Therapie und damit ab jetzt einen möglichst natürlichen Sterbeprozess. Sterben soll ab jetzt nicht mehr künstlich verlängert werden.