Apallisches Syndrom

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Apallisches Syndrom

Ursachen des Apallischen Syndroms sind ausgedehnte Schädigungen der Hirnrinde, des Marklagers oder Hirnstamms, meist in Folge eines traumatischen Mittelhirnsyndroms, das seine Ursache in einem traumatischen Hirnödem hat. "Obwohl der apallische Patient die Augen öffnet, fixiert er nicht, erkennt nicht und nimmt weder durch Blicke noch Laute oder Gesten Kontakt auf (Coma vigile). Er ist zu reaktiven wie zu emotionalen Äußerungen gleichermaßen unfähig (akinetischer Mutismus).
Man beobachtet ein z.T. diskonjugiertes Bulbuswandern, die Pupillenreaktionen auf Licht sind unausgiebig, der ziliospinale Reflex ist positiv, der Drohreflex nicht auslösbar. Nicht selten finden sich Hypersalivation, 'Salbengesicht' und Amimie. Regelmäßig zeigen sich orale Automatismen mit Schluck- und Kaubewegungen, gelegentlich als 'Zähneknirschen'. Meist sind Saug- und Greifreflexe sowie der Palmomentalreflex beiderseits deutlich positiv. Darüber hinaus lassen sich Haltungs- und Stellungsreflexe, vor allem der asymmetrische und symmetrische tonische Halsstellreflex, auslösen.
Der Masseterreflex ist ebenso gesteigert, die die übrigen Eigenreflexe, das Babinski-Zeichen ist häufig positiv. Bei spastischer Tetraparese ist der Rumpf meist gestreckt, die Extremitäten sind adduziert und in Ellenbogen- und Kniegelenken angewinkelt. Rasch bilden sich Gelenkkontrakturen. Schmerzreize werden mit einer Massenbewegung, an den Füßen meist mit einer Beugesynergie des Beins (Fluchtreflex) und generalsierter sympathischer Reaktion beantwortet.
Die vegetativen Funktionen sind enthemmt, Blutdruck, Puls und Temperaturregulierung meist unregelmäßig. Der Schlaf-Wach-Rythmus ist nicht an Tag und Nacht gebunden. Der wache Patient befindet sich in einer permanenten sympathikotonen Streßsituation ('emergency reaction'), die auch als Ursache des Marasmus und seinen Folgen (Dekubitalulzera und Myositis ossificans) angesehen werden kann."[1]

Eine Remission des apallischen Syndroms als Folge einer akuten Hirnschädigung ist noch nach Monaten möglich.[2]

Komatöse und pseudo-komatöse Zustände im Vergleich zu Hirntod

Hirntod im Vergleich zu anderen komatösen und pseudo-komatösen Zuständen:[3]

Bewusstsein
Selbstwahrnehmung
Schmerz-
empfinden
Schlaf-Wach-
Zyklen
motorische
Funktionen
Hirnstamm-
reflexe
respiratorische
Funktion
Prognose
akinetischer Mutismus partiell vorhanden, deutlich gestört intakt, aber keine Schmerzabwehr vorhanden, zum Teil gestört keinen spontane Motorik intakt intakt im Allgemeinen gut
apallisches Syndrom nicht vorhanden nicht erkennbar zumeist intakt keine bewusste, zielgerichtete Motorik intakt intakt abhängig von der Ätiologie
Koma nicht vorhanden (Definition!) abhängig von Komatiefe abhängig von Komatiefe keine bewusste, zielgerichtete Motorik vorhanden oder partiell erloschen unterschiedlich gestört abhängig von der Ätiologie
Locked-in-Syndrom intakt intakt intakt Quadriplegie, nur Augenbewegungen intakt (zumeist) intakt zumeist infaust
Anenzephalie nie vorhanden* nie vorhanden* ? keine bewusste, zielgerichtete Motorik abhängig von Ausprägung abhängig von Ausprägung immer infaust
Hirnrinden-Tod erloschen erloschen nein keine bewusste, zielgerichtete Motorik intakt (zumeist) intakt immer infaust
Hirnstamm-Tod erloschen(?) erloschen nein keine oder spinale Reflexmotorik erloschen erloschen immer infaust
Hirntod erloschen erloschen nein keine oder spinale Reflexmotorik erloschen erloschen

nie vorhanden* = Bei Anenzephalie waren Großhirn und Kleinhirn nie angelegt. Daher waren diese Funktionen auch nie vorhanden.

Basiskriterien zur Beurteilung der Hirnstammfunktionen

Basiskriterien zur Beurteilung der Hirnstammfunktionen und Hirnstammreflexe[4]

Mittelhirnsyndrom Bulbärhirnsyndrom
Stadien 1 2 3 4 5 6
Vigilanz leichte Somnolenz tiefe Somnolenz Koma Koma Koma Koma
Reaktion auf sensorische Reize verzögert, mit Zuwendung vermindert, ohne Zuwendung keine Reaktion keiner Reaktion keine Reaktion keine Reaktion
Bulbus normal, pendelnd beginnende Divergenz, dyskonjugiert Divergenz fehlt Divergenz fehlt Divergenz fixiert, fehlt Divergenz fixiert, fehlt
Pupillenweite mittelweit verengt eng mittelweit, erweitert erweitert maximal weit
Lichtreaktion normal verzögert träge vermindert fast fehlend fehlt
Spontanmotorik Wälzbewegungen Bewegung der Arme, Streckhaltung der Beine Beuge- und Streckhaltung Streckhaltung Restsymptomatik nach Streckhaltung schlaffe Haltung
Motorische Reaktion auf Schmerzreize im Gesicht prompt, Abwehr gerichtet verzögert, Abwehr ungerichtet Beuge-Streck-Stellung Strecksynergismen Restsymptomatik nach Strecksynergismen spinale Automatismen
Muskeltonus normal in den Beinen erhöht erhöht stark erhöht gering erhöht schlaff
Babinski-Phänomen angedeutet nachweisbar stark positiv stark positiv fraglich negativ
Atmung normal normal oder flach mit Pausen flach mit Pausen sehr stark unregelmäßig keine Eigenatmung
Pulsfrequenz steigend bis 90 steigend bis 90 steigend bis 120 steigend über 150 fallend auf 100, schwankend fallend auf 80, schwankend
Blutdruck normal normal leicht erhöht deutlich erhöht vermindert stark vermindert
Temperarur normal erhöhöt erhöht bis 39°C stark erhöht bis über 39°C sinkend auf 39°C sinkend auf unter 37°C

Vom Mittelhirnsyndrom zum Bulbärhirnsyndrom

Klinische Symptomatik des Mittelhirnsyndroms (MHS) hin zum Bulbärhirnsyndrom (BHS)[5]

Symptom/Prüfung Mittelhirnsyndrom Übergangsphase Bulbärhirnsyndrom
Bewusstsein, Vigilanz Koma Koma Koma
Blinzelreflex keiner keiner keiner
Arme, Beine gestreckt Rückgang der Streckstellung schlaff
Bewegungen Streckkrämpfe, Streckstarre keine keine
Schmerzreize Strecksynergismen, verstärkt gestreckt keine oder Strecksynergismen auslösbar keine
Muskeltonus stark erhöht, 'als ob der Patient aktiv gegenspannt' Rückgang der Muskelhypertonie, zuerst an Armen atonisch
Muskeleigenreflexe Hyperreflexe abgeschwächt keine
Pyramidenbahnzeichen ja ja keine oder schwache
Bulbusstellung deutliche Divergenz Divergenz Divergenz
Bulbusbewegung keine keine keine
Pupillen mittelweit, weit weit maximal weit
Lichtreaktion deutlich vermindert noch angedeutet keine
Kornealreflex ja schwach keiner
Ziliospinaler Reflex nein nein nein
Okulozephaler Reflex vermindert nein nein
Vestibulookulärer Reflex mit dissoziierter Reaktion nein nein
Atmung Tachypnoe, maschinenartig beschleunigt, flach Apnoe
Pulsfrequenz Tachykardie beschleunigt, flach Abfall bis Bradykardie
Blutdruck Hypertonus Rückgang ((RR-Abfall) Hypotonie
Temperatur Hypertermie Rückgang (Temperaturabfall) leicht erhöht, normal
Schweißsekretion Hyperhidrosis Hyperhidrosis

Zitate

Neuropathologische Untersuchungen haben gezeigt, daß die vereinfachte Vorstellung einer vollständigen Großhirnschädigung bei apallischen Patienten nicht zutrifft und diese vielmehr durchaus funktionierende Großhirnanteile aufweisen. Kinney und Mitarbeiter fanden beispielsweise bei der Untersuchung des Gehirns einer apallischen Patientin im Bereich der Insel, des Gyrus cinguli und des orbitofrontalen Kortex nur mäßige bis moderate Neuronenverluste. ... Ein zweiter wichtiger Einwand ist die Tatsache, daß die Diagnose des permanenten apallischen Syndroms unsicher ist, da, wenn auch nur vereinzelt, die Wiedererlangung von Bewußtseinsfunktionen beobachtet wurde."[6]
Beim apallischen Syndrom (Coma vigile, vegetatives Stadium, dezerebriertes Stadium) ist das BewuBtsein auf einer primitiven Stufe erhalten. Zeichen sind erhaltene Vigilanz (Wachheit), keine BewuBtseinsinhalte, keine BewuBtseinsbreite, Verlust aller hoheren psychischen Funktionen, wie Erkennen, Selbstreflexion und Kritikvermogen. Es handelt sich um ein gedankenleeres besinnungsloses Wachsein. Hirnstammfunktionen wie Schlaf-Wach-Rhythm us, Atmung, Herz-Kreislauf sind erhalten. Dazu kommen Saug-, Greif-, Schnauzreflexe. Das apallische Syndrom kann reversibel sein, hinterlaBt aber meist Dauerschaden. Etwa 1-2 % aller komatOser Patienten nach Schadelhirntrauma verbleiben im apallischen Zustand.[7]

Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Karl F. Mansur, Marianne Neumann: Neurologie. Stuttgart 1992, 119.
  2. Karl F. Mansur, Marianne Neumann: Neurologie. Stuttgart 1992, 119.
  3. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2 Auflage. Neu-Isenburg 2001, 72.
    ==== Die gelb markierten Zustände wurden von Klaus Schäfer ergänzt.
  4. Walied Abdulla: Interdisziplinäre Intensivmedizin. 3. Auflage. München 2007, 650.
  5. Dietmar Schneider: Der hirntote Patient. In: Sven Berker, Sven Laudi, Udo X. Kaisers (Hg.): Intensivmedizin konkret. Fragen und Antworten. Köln 2016, 679f.
  6. Martin Klein: "Auch die Toten sind nicht mehr sterbenskrank" * Die Auseinandersetzung um den Hirntod - eine Bilanz. (01.12.2007) Nach: https://web.archive.org/web/20160416120158/http://initiative-kao.de/vortrag-m-klein-01-12-07-hirntod-auseinandersetzung-bilanz.html Zugriff am 02.05.2020.
  7. Rüdiger Siewert (Hg.): Chirurgie. München 1998, 229.