Schmerz

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Eine häufige Sorge, aber auch Aussage, sind die (möglichen) Schmerzen von Hirntoten. Daher in Kürze:

Begriffsdefinition

  • Schmerzrezeption erfolgt durch die Repeptoren. Die meisten von ihnen befinden sich in der Haut. Diese Schmerzrezeption wird über Nervenbahnen an das Rückenmark gemeldet.
  • Schmerzreaktion bezeichnet die durch das Rückenmark ausgelöste Reaktion des Körpers auf einen Schmerzreiz, frei von der Schmerzwahrnehmung. Dies erfolgt durch Reflexe und Ausschüttung von Stresshormonen.
  • * Schmerzwahrnehmung oder auch Schmerzbewusstsein bezeichnet die bewusste Wahrnehmung eines Schmerzes. Es schmerzt.

Diese drei Begriffe besitzen eine zeitliche Abfolge und sind auch anatomisch eindeutig voneinander zu unterscheiden:

Schmerzrezeption Schmerzreaktion Schmerzwahrnehmung
Die Empfindung des Schmerzes erfolgt in die Rezeptorzellen. Diese leiten die Information über Nervenbahnen an das Rückenmark weiter. Das Rückenmark zieht über den Reflexbogen den schmerzenden Körperteil reflexartig aus der Gefahrenzone. Gleichzeitig ergeht die Schmerzinformation an die Nebenniere, die die Stresshormone (u.a. Adrenalin) ausschüttet. Vom Rückenmark erhält das Gehirn über den Hypothalamus die Information des Schmerzes. Erst durch die Verarbeitung im Gehirn wird der Schmerz als solcher wahrgenommen. Dies geschieht 0,2 bis 0,5 sec nach Rezeption des Schmerzes.
Millisekunde 0 = Start <200 Millisekunden >200 Millisekunden
Körper Bewusstsein

Schmerzreaktion und Schmerzwahrnehmung

Aufgabe des Schmerzes

Der Schmerz signalisiert dem Körper, dass er auf irgendeine Art geschädigt wird. Dies muss vermieden werden. Daher ist der Schmerz ein wichtiges Alarmsignal, das hilft, uns körperschonend zu verhalten. Menschen ohne Schmerzempfinden sterben oft in jungen Jahren an jungen Jahren an Infektionen und entzündeten Gelenksfehlstellungen.
Um Schmerz zu empfinden, bedarf es Sinneszellen, die diese Schädigung des Körpers erkennen. Man spricht von "noxischen" (schädlichen) Reizen und für das Schmerzsystem von einem "nozizeptiven System" (schadenerkennendes System). Die eigentliche Schmerzwahrnehmung erfolgt erst mit der Verarbeitung der Schmerzreize im Gehirn. [1]

Unterschied: Schmerzreaktion und Schmerzwahrnehmung

Es ist zwischen Schmerzreaktion (Reflex) und Schmerzwahrnehmung (bewusst wahrgenommener Schmerz) zu unterscheiden. Was zunächst im Körper abläuft, ist eine Schmerzreaktion. Die Schmerzwahrnehmung erfolgt danach. - Das Beispiel der heißen Herdplatte verdeutlicht dies:[2]

  1. Schmerzrezeptoren in der Handfläche werden durch die große Hitze gereizt.
  2. Nervenfasern leiten diese Schmerzinformation an das Rückenmark weiter.
  3. Im Rückenmark teilt sich diese Information für Reflexbogen, Nebenniere und Gehirn.
  4. Informationsweg Reflexbogen
    Über den Reflexbogen im Rückenmark wird die Hand reflexartig von der heißen Herdplatte zurückgezogen.
  5. Informationsweg Nebenniere
    1. Über Nervenfaser gelangt die Schmerzinformation vom Rückenmark zur Nebenniere.
    2. Das Nebennierenmark schüttet Stresshormone aus (u.a. Adrenalin) und stellt damit im Körper alle Energiereserven für Kampf oder Flucht zur Verfügung.[3]
    3. Die Ausschüttung der Stresshormone lässt Puls und Blutdruck nach oben schnellen, d.h. wir erschrecken.
    4. Bis zu diesem Zeitpunkt hat das Gehirn noch keinen Schmerz wahrgenommen.[Anm. 2]
  6. Informationsweg Gehirn
    1. Über Nervenfaser gelangt die Schmerzinformation vom Rückenmark zum Gehirn.
    2. Im limbischen System[Anm. 3] wird die Schmerzinformation emotional bewertet.[Anm. 4]
    3. Beurteilt das limbische System den Schmerz als relevant, gibt es diese Information an das Großhirn weiter. Damit ist der Schmerz bewusst gemacht.

Damit ist der Unterschied zwischen Schmerzreaktion und Schmerwahrnehmung klar:

  • Schmerzreaktionen erfolgen über das Rückenmark. Das Gehirn spielt dabei keine Rolle.
  • Schmerzwahrnehmmung erfolgt danach, wird im limbischen System bewertet und kommt, wenn die Information als relevant eingestuft wurde, dann erst als Information im Großhirn an und ist ab dann bewusst.

Damit ist klar aufgezeigt:

Hirntote können zwar Schmerzreaktionen haben, aber in D/A/CH[Anm. 5] keine Schmerzwahrnehmung.

Schmerzkomponenten

Schmerz besitzt 4 Komponenten, auf denen der Körper auf Schmerz reagiert. Diese sollen am Beispiel des Eintauchens der Hand in 50°C heißes Wasser verdeutlicht werden:[4]

  • Sensorische Komponente
    Beim Eintauchen der Hand in heißes Wasser werden Nozizeptoren der Haut erregt. Diese Schmerzrezeption wird mit Angabe der Lokalisation und Intensität durch Nervenbahnen über das Rückenmark an das Gehirn weitergeleitet. Dort wird der Schmerz bewertet und bewusst wahrgenommen.
  • Motorische Komponente
    Wenn wir die Hand unbeabsichtlich in heißes Wasser eintauchen, zuckt unsere Hand zurück, "lange bevor uns der Hitzeschmerz bewusst wurde und wir willkürlich darauf hätten reagieren können. Diese motorische Komponente des Schmerzes ist uns als Flucht- oder Schutzreflex in einer Vielzahl von Beispielen bekannt. ... Im weiteren Sinne sind auch andere Verhaltensäußerungen auf den Schmerz, die aus der Schmerzbewertung resultieren, als motorisch oder besser psychomotorische Komponenten des Schmerzes anzusehen." Dies erfolgt über die Reflexbögen im Rückenmark.
  • Affektive Komponente
    Wenn die Temperatur des Wassers 25°C beträgt, in das wir unsere Hand eintauchen, so ist es entscheidend, von welcher Ausgangsposition wir kommen: Ist es ein heißer Sommertag mit über 35°C, so sind uns die 25°C eine Abkühlung. Ist es ein frostiger Wintertag, so sind die 25°C eine wohlige Wärme. Was wir wahrnehmen, löst bei uns Gefühle aus. Wie dieses Beispiel zeigt, kann der gleiche physikalische Reiz entgegengesetzte Gefühle auslösen.
  • Vegetative Komponente
    Das Eintauchen einer Hand in heißes Wasser führt zur Erweiterung der Hautgefäße und damit zu erhöhter Durchblutung. Dies wird an der Rötung der Haut sichtbar. Bei Eintauchen der Hand in Eiswasser verengen sich die Blutgefäße und die Hand wird weiß. In der Regel steigen in beiden Fällen der Blutdruck und Puls an, die Pupillen erweitern sich und die Atmung verändert sich.

Schmerzreaktionen bei Hirntoten

Bei jeder HTD wird der V. Hirnnerv Trigeminus gereizt, was einen größtmöglichen Schmerzreiz auslöst. Dieser ist mit dem Hirnstamm verbunden und dort mit motorischen Nerven verschaltet, die normalerweise eine Schmerzreaktion im Gesicht auslöst. Bei Hirntoten fehlt diese Schmerzreaktion im Gesicht, da der Hirnstamm abgestorben ist.
Werden Schmerzreize am übrigen Körper gesetzt, so können diese - über das Rückenmark verschaltet - am übrigen Körper Reaktionen hervorrufen.[5]

Ablauf: Puls und Blutdruck steigt

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Hierbei beteiligten Körperteile: Von den Schmerzreptoren wird ein großer Schmerz empfunden (z.B. Öffnung des Oberkörpers). Diese Information wird an das Rückenmark weitergeleitet. Vom Rückenmark geht ein Impuls über eine Nervenleitung zu den Nebennieren und löst die Ausschüttung von Stresshormonen aus, u.a. Adrenalin. Dadurch steigen Blutdruck und Puls.[Anm. 6] Vom Rückenmark geht ein Impuls über eine Nervenleitung zum Gehirn. Da dieses beim Hirntoten abgestorben ist, kann dieser Impuls nicht als Schmerz wahrgenommen werden.

"Es ist durchaus zutreffend, dass während der Organentnahme derartige Phänomene beobachtet werden, welche schmerzstimulationsbezogenes Verhalten lebender Personen imitieren. Die deutlichsten Reaktionen zeigen sich beim Hautschnitt sowie bei Präparationen am Brust- und Bauchfell und dem Abbinden größerer Gefäße. Neben Blutdruck- und Pulsreaktionen kann es zu Muskelzuckungen durch elektrische Schneideinstrimente sowie zu flächenhaften Hautrötungen und Schwitzen kommen. ...
Um die beschriebenen Phänomene zu erklären und die Frage einer noch vorhandenen Schmerzwahrnehmung bei hirntoten Patienten zu beantworten, sie zum Vergleich ein Patient mit einer kompletten Querschnittlähmung im oberen Halsmark betratet. Es sind hier alle Nervenbahnen zwischen dem Kopf und dem übrigen Körper durchtrennt. In vielfacher Hinsicht besteht damit eine Ähnlichkeit zum Hirntod - allerdings mit dem wesentlichen Unterschied eines intakten Gehirnes und eines Bewusstseins und damit der Fähigkeit, Schmerzempfindungen mitzuteilen. Auch bei diesen Patienten können vergleichbare Manipulationen im Bereich des Körpers entsprechende Veränderungen des Blutdrucks und Pulses sowie Rötungen und Schweißreaktionen auslösen, ohne daß etwas wie eine Schmerzempfindung die Bewusstseinsebene erreicht.
Ebenso konnte schon 1946 tierexperimentell an Katzen, bei welchen eine Decapitierung - also eine Durchtrennung an der Grenze von Hirnstamm und oberen Rückenmark - durchgeführt worden war, gezeigt werden, dass bereits geringe mechanische Manipulationen in der Körperperipherie bzw. an den Baucheingeweiden Blutdurck- und Pulsreaktionen sowie Spontanbewegungen der Extremitäten hervorrufen können. Diese Reaktionen entsprechen exakt den Phänomenen, welche gelegentlich bei Hirntoten während der Organexplantation beobachtet werden."[6]

Schmerzwahrnehmung

Im Gyrus postcentralis findet die bewusste Wahrnehmung z.B. der Schmerzreize mit lokalisatorischer Zuordnung zu einzelnen Körperregionen statt. Zusätzliche Projektionen vom Thalamus in andere Kortexbereiche ermöglichen aber auch außerhalb des Gyrus postcentralis eine Schmerzwahrnehmung, allerdings meist ohne präzise lokalsatorische Zuordnung."[7]

Normales Schmerzwahrnehmung

Die normale Schmerzwahrnehmung soll am Beispiel einer heißen Herdplatte verdeutlicht werden:

  1. Die Schmerzrezeptoren in der Haut werden die Hitze der Herdplatte gereizt.
  2. Nervenfasern leiten diese Information an das Rückenmark weiter.
  3. Im Rückenmark wird diese Information aufgeteilt:
    1. Über den Reflexbogen wird die Hand reflexartig von der heißen Herdplatte zurückgezogen.
    2. Über eine Nervenfaser wird die Information Schmerz an die Nebenniere weitergeleitet.
      1. Die Nebenniere schüttet Stresshormone (u.a. Adrenalin) aus.
      2. Die Folgen hiervon sind: Puls und Blutdruck steigen an. Damit ist der Mensch für Flucht oder Kampf in körperlicher Hochform.
    3. Über eine Nervenfaser wird die Schmerzinformation an das Gehirn weitergeleitet.
      1. Die bewusste Schmerzverarbeitung und Schmerzwahrnehmung erfolgt im Großhirn. In der sogenannten Thalamus-Region bekommt der Schmerz seine gefühlsmäßige Bedeutung. In den Gebieten der Hirnrinde wird das Schmerzgeschehen unter Verwendung bisheriger Erfahrungen schließlich bewertet.[8] - Bewusste Schmerzwahrnehmung erfolgt wie jede andere Sinneswahrnehmung (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) im Großhirn.
      2. In zwei Bereichen der Großhirnrinde - im somato-sensorischen Cortex und im hinteren Bereich der Inselrinde - wird der Schmerzreiz emotional bewertet. Eine zentrale Rolle spielt der präfrontaler Cortex (ACC).[9]
        Ca. 0,2 Sekunden, nachdem wir reflexartig die Hand von der heißen Herdplatte genommen haben, nehmen wir bewusst den Schmerz wahr.
      3. Der Mensch - nicht der Körper, d.h. reflexartig - handelt auf diesen Schmerzreiz bewusst: bei einem angenehmen Reiz wird z.B. versucht zu kuscheln (d.h. ihn möglichst zu intensivieren und ihn noch möglichst lange zu erhalten), bei einem unangenehmen Reiz (z.B. Schmerz), werden wir versuchen, diesem Schmerz zu entfliehen oder zumindest zu verringern.

Veränderung des Gehirns durch chronische Schmerzen
Anne Nicklas zeigt in ihrer Dissertation (2013) auf, dass chronische Schmerzen zu Veränderungen im Gehirn führen. "Trotz der zunehmenden Erkenntnisse bleiben die exakten Mechanismen, die zu den spezifischen Veränderungen der grauen Hirnsubstanz bei CLBP-Patienten führen, weiter unklar." (S. 15)[10]

Anatomie der Schmerzwahrnehmung

Die Schmerzafferenzen[Anm. 7] werden nach dem Eintritt in das Rückenmark im Hinterhorn auf das 2.Neuron umgeschaltet. Sie kreuzen dann zusammen mit Fasern der Temperaturwahrnehmung und denjenigen für grobe Druck- und Tastempfindungen in der Commissura alba des Rückenmarks auf die Gegenseite. Von dort aus führen sie als Tractus spinothalamicus nach oben zum Thalamus im Zwischenhirn und schließlich zur sensiblen Großhirnrinde, "die für die bewusste Schmerzwahrnehmung und die weitere zuordnende Verarbeitung essentiell ist."[11]

Eine Schädigung des Tractus spinothalamicus führt zu einer Empfindungslosigkeit für Temperatur (Thermanästesie) und Schmerz (Analgesie) auf der kontralateralen Körperhälfte in allen Hautdermatomen (...), die unterhalb des Rückenmarkssegmentes liegen, in dem die Schädigung aufgetreten ist.[11]

Das 1. Neuron nimmt den entsprechende Impuls (Schmerz, Temperatur, grobe Mechanozeption) zum Rückenmark, wo es die Information an das 2. Neuron weitergibt. Das 2. Neuron kreuzt hierauf unmittelbar auf die Gegenseite und führt als Tractus spinothalamicus nach oben. Im Markhirn wird er mit dem vom Kopf kommenden Drillingsnerv zusammengefasst. In somatotopischer Anordnung führen die Neuronen zum Nucleus ventralis posterior im Thalamus. Dort erfolgt die Umschaltung auf das 3. Neuron. Diese Neuronen führen zum Gyrus postcentralis des Parietallappens. Sie enden in ihrer somatotopischer Anordnung in der primären somatosensiblen Hirnrinde. Im Gyrus postcentralis findet die bewusste Wahrnehmung z.B. der Schmerzreize mit lokalisatorischer Zuordnung zu einzelnen Körperregionen statt. Zusätzliche Projektionen vom Thalamus in andere Kortexbereiche ermöglichen aber auch außerhalb des Gyrus postcentralis eine Schmerzwahrnehmung, allerdings meist ohne präzise lokalsatorische Zuordnung."[12]

Menschen mit gestörter Schmerzwahrnehmung

Eine zentrale Rolle spielt der anteriore cinguläre Cortex (ACC). Der ACC moduliert auch die Schmerzwahrnehmung, indem er etwa über körpereigene Opiate die Sensitivität verringert. Ist dieses Areal verkleinert, dann kann also die Schmerzempfindung nicht mehr so gut reduziert werden.

In der Inselrinde (Lobus insularis, BA 13, 14) wird die Schmerzwahrnehmung reguliert, d.h. dem Schmerz bewusst Aufmerksamkeit geschenkt, aber auch unterdrückt.

Aus Dissertationen:

  • Bernd-Alexander Gebhard Hock zeigt auf Seite 18 seiner Dissertation anhand von cMRT-Bildern auf, in welchen Regionen des Gehirns Schmerzschwelle, Intensität und Unangenehmheit verarbeitet werden.[13]
  • Von 144 Patienten mit hypoxischen Hirnschaden reagierten 38 auf einen Schmerzreiz mit einem spitzen Gegenstand, 106 Patienten zeigten keinerlei Reaktionen.[14]
  • "Bei der Trigeminusneuralgie handelt es sich um plötzlich einschießende, heftigste, zum Teil fast unerträgliche oberflächlich in Haut- und Schleimhaut empfundene Schmerzattacken eines oder mehrerer Äste des V. Hirnnerven."[15]
  • Über Trigeminusneuralgie: "Das Krankheitsbild ist charakterisiert durch plötzliche, unerwartet 'aus heiterem Himmel' auftretende Schmerzanfälle von größter Intensität, die Sekunden, höchstens Minuten anhalten. Der Schmerz wird als 'stechend' wie ein 'Messerstich' oder wie ein 'Peitschenhieb' beschrieben."[16]
  • Trigeminusneuralgie kann zum Suizid treiben: " Exemplarisch möchte ich einen Patient anführen, der mit akuter Suizidgefahr aufgrund der unerträglichen neuralgischen Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, was dieser auch im Interview bestätigte, allerdings bei der Beantwortung der Fragen nach seelischer Mitbeteiligung diese verneinte."[17]


Fazit:
Um Schmerzen bewusst oder unbewusst wahrnehmen zu können, bedarf es eines funktionierenden Gehirns. Ist jedoch im Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm keine Funktionalität vorhanden (Hirntod), können keine Schmerzen wahrgenommen werden, wie groß diese auch sein mögen.
Bei jeder HTD gehört die Reizung des Trigeminus-Nervs mit hinzu. Es darf dabei zu keiner Schmerzreaktion kommen, ansonsten wäre der Hirntod widerlegt. Reizung des Trigeminus-Nervs gehört mit zu den größten Schmerzreizen. Wenn hier keine Schmerzreaktion erfolgt, warum soll dann beim Öffnen des Oberkörpers zum Zweck der Organentnahme eine Schmerzreaktion erfolgen? Das macht keinen Sinn.

Schmerzreaktion von Hirntoten

Die "Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen" (Stand 24.5.2011), herausgegeben von der "Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften" (SAMW) enthält einen indirekten Hinweis auf Schmerzreize und Schmerzreaktion von Hirntoten: Im Anhang heißt es auf Seite 21 unter "Klinische Zeichen des Todes", Punkt 5:

Fehlen jeglicher Reaktion auf starken Schmerzreiz: Die Reaktion auf Schmerzreize muss durch Druck auf die Austrittsstelle eines Trigeminusastes am Orbitarand geprüft werden.

Was eine Reizung des Trigeminus-Nervs für Gesunde bedeutet, ist hier nachzulesen[18]

Bei der Trigeminusneuralgie können heftigste Schmerzen im Trigeminusgebiet auftreten. Diese werden als mitunter stärkste bekannte Schmerzen beschrieben.

Mit anderen Worten: Wenn der Hirntote bei der Reizung des Trigeminus-Nervs keine motorischen Reaktionen zeigt, kann er auch bei der Öffnung des Oberkörpers zum Zweck der Organentnahme keine Schmerzen bewusst wahrnehmen.

In D/A/CH können Hirntote keine Schmerzen wahrnehmen,
sie haben nur unbewusste Schmerzreaktionen.

Siehe hierzu auch alle diese Internetseiten:[19]

Wahrnehmungskette der Schmerzwahrnehmung

Wahrnehmungskette der Schmerzwahrnehmung I

In erster Linie dienst Schmerz als Warnung, dass etwas nicht stimmt und wir etwas tun müssen. Meist tritt er auf, weil bestimmte Nervenbahnen, die den ganzen Körper durchziehen, gereizt wurden. Dabei läuft die Wahrnehmungskette wie folgt ab:[20]

  1. Chemie des Schmerzes
    Eine Verletzung der Haut setzt Substanzen wie Bradykininund ATP frei. Diese lösen Nervenimpulse aus, welche wir letztlich als Schmerz erleben. Einige Substanzen, wie das von bestimmten Leukozyten freigesetzte Histamin, erzeugen am Ort der Verletzung Entzündungssymptome.
  2. Rückenmark
    Über spezifische Nervenfasern gelangen die Schmerzsignale zum Rückenmark. Die meisten dieser Fasern treten in das sogenannte Hinterhorn des Rückenmarks ein. Dort werden sie auf eine 2. Faser umgeschaltet. Diese kreuzt auf die andere Seite und führt nach oben zur Medulla Oblongata.
  3. Medulla Oblongata
    Die Schmerzsignale der 2. Faser aktiviert in der Medulla Oblongata das autonome Nervensystem. In Folge dessen steigen Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz. Schweiß bricht aus. Dies steigert unsere Kampf-Flucht-Bereitschaft.
  4. Absteigende Bahnen
    Von den Schmerz registrierenden Hirnregionen absteigende Nervenfasern fangen aufsteigende Schmerzsignale ab und modifizieren sie, indem sie die Freisetzung analgetischer Substanzen in Hirnstamm und Rückenmark bewirken.
  5. Thalamus
    Die Faser leitet die Schmerzsignale zum Thalamus weiter.
  6. Cortex
    Die vom Thalamus weitergeleiteten Schmerzsignale werden im Cortex als Schmerzwahrnehmung umgesetzt.

Wahrnehmungskette der Schmerzwahrnehmung II

Helena Dohmann beschreibt in ihrer Dissertation (2013) die Wahrnehmungskette der Schmerzwahrnehmung auf den Seiten 11 bis 16 den physiologischen Weg des Schmerzes von der Schmerzrezeption bis zur Schmerzwahrnehmung so:[21]

  • Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) nehmen chemische, thermische und mechanische Reize wahr und leiten den Schmerz über Nervenbahnen an das Rückenmark weiter.
  • Im Rückenmark findet die Verstärkung, Abschwächung und Kontrastierung der neuronalen Aktivitäten statt. Zum einen wird die Schmerzinformation über Nervenbahnen zum Thalamus weitergeleitet. Dabei werden sie mehrfach durch Synapsen unterbrochen, so z.B. im verlängerten Mark und der Pons.
  • "Der Thalamus ist die zentrale Verschaltungsstelle für alle Signale, die vom bzw. zum Cortex (Hirnrinde) gelangen. Er ist dabei nicht nur für die Verschaltung zuständig, sondern moduliert und koordiniert gleichzeitig die einzelnen Signale."
  • In der Hirnrinde wird der Schmerz bewusst wahrgenommen. Hierbei sind vor allem die Regionen S1, S2, ACC aktiv. "Der Cortex ist der Entstehungsort bewusster Schmerzwahrnehmung."
  • Der Nozizeptiver Flexorreflex (NFR) ist ein vom Rückenmark ausgehender Reflex, der die Gließmaßen (Hände, Arme, Füße, Beine) aus der Gefahrenzone ziehen, in der dieser Schmerz ausgelöst wurde. [22]
  • Schmerzsignale werden "bis zum Gehirn weiterleiten, um dort eine Schmerzwahrnehmung auszulösen."

Wahrnehmungskette der Schmerzwahrnehmung II

Die Schmerzwahrnehmung verläuft auf diesem Wege:[23]

  • Rückenmark
    Schmerzreize, die irgendwo im Körper registriert werden, werden über Nerven zum Rückenmark weitergeleitet. Dort werden sie auf einen 2. Nerv umgeschaltet, der zum Thalamus führt.
  • Thalamus
    Im Thalamus wird der Schmerz zur aktuellen Lebenssituation bewertet[Anm. 8] und mit einem 3. Nerv zur Inselrinde weitergeleitet.
  • Inselrinde
    In der Inselrinde erfolgt eine Umschaltung auf den 4. Nerv.
  • Cortex
    Die Schmerzinformation werden vom Thalamus wie auch von der Inselrinde an verschiedene Regionen des Cortex geleitet. Im Cortex wird der Schmerz wahrgenommen.

Regelungen in den Ländern

Hirnstammtod und Gesamthirntod

Beim Hirnstammtod (gilt z.B. in einigen Staaten der USA, Großbritannien (Indien, Australien), Polen und Israel) können bei Hirntoten noch Teile des Großhirns funktionsfähig sein. Da im Großhirn der Schmerz bewusst wahrgenommen wird, besteht die Möglichkeit einer bewussten Schmerzempfindung.

Beim Gesamthirntod (gilt in D/A/CH muss neben dem Hirnstamm auch das Großhirn und Kleinhirn abgestorben sein, um als Hirntoter zu gelten. Dadurch ist keine Schmerzempfindung möglich.

Fazit: In Ländern, in denen der Hirnstammtod gilt, können Hirntote u.U. noch Schmerzen wahrnehmen; in Ländern, in denen der Gesamthirntod gilt, können Hirntote keinesfalls Schmerzen wahrnehmen.

Deutschland

Bereits 1982 schrieb die BÄK zur Feststellung des Hirntodes die Überprüfung von Schmerzreaktionen bei Reizung des Trigeminus-Nervs vor. Dies wurde bis in die Gegenwart (4. Fortschreibung) beibehalten. Dabei werden am Trigeminus-Nerv die größten vorstellbare Schmerzreize ausgelöst. Hirntote zeigen hierauf keine Reaktion, weil mit dem Tod des Gehirns ihre gesamte Wahrnehmung erloschen ist, selbst die des größten Schmerzes.

Im Dtsch Arztebl 2001; 98(21): A-1417 / B-1203 / C-1131 gaben 5 Vorsitzende und Präsidenten verschiedener ärztlicher Gesellschaften[Anm. 9] eine Erklärung zum Hirntod ab. Darin heißt es:

Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahmen keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig.

Schweiz

Immer wieder wird behauptet, dass in der Schweiz für die Organentnahme eine Vollnarkose vorgeschrieben sei, um evtl. Schmerzen der Organspender zu vermeiden. - Dieser Aussage muss entschieden widersprochen werden, denn die SAMW brachte im Jahre 2012 oder 2013[Anm. 10] eine 4-seitige Schrift "Fakten und Argumente"[24] heraus, in der es auf Seite 2 heißt:

Naturwissenschaftlich gesehen gibt es keine exakte zeitliche Zäsur zwischen Leben und Tod; das Sterben des Organismus als Ganzes, der Organe und der verschiedenen Zellen ist ein Prozess. Auch nach dem Funktionsausfall des Gehirns sind bestimmte unwillkürliche Reaktionen (z.B. Muskelreflexe) noch möglich. Solche Reflexe sind der Grund dafür, dass Organspender bei der Organentnahme eine Narkose erhalten.

In der von Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) und Swisstransplant herausgebrachten Schrift "Organspende und Transplantation" (Januar 2013) heißt es auf Seite 31:

Es wird empfohlen eine Narkose einzuleiten um spinalen Reflexen und Muskelkontraktionen vorzubeugen. (s. SAMW Richtlinien Seite 19)

In einem vorliegenden Schreiben von Dr. Katharina Plüss, Stv. Sektionsleiterin Eidgenössisches Departement des Innern EDI, Bundesamt für Gesundheit BAG, heißt es:

Richtlinien zur Organentnahme in der Schweiz

Die von der Schweizerische Akademie für Medizinische Wissenschaften (SAMW) verfassten Richtlinien halten folgendes fest:
"Bei der Organentnahme hat man es mit dem Körper eines Toten zu tun. Dieser besitzt jedoch nach wie vor ein weitgehend funktionstüchtiges spinales und autonomes Nervensystem. Der tote Körper kann deshalb auf Reize reagieren und motorische Reaktionen zeigen. Mit der Verabreichung von Anästhetika können solche Reaktionen weitestgehend verhindert werden. Dies trägt zur Entlastung der bei einer Organentnahme involvierten Personen bei. Da die Verabreichung von Anästhetika bis zu einem gewissen Grade ischämieprotektiv wirkt und einer Verletzung der zu entnehmenden Organe vorbeugt, ist sie auch im Interesse des Empfängers. Aus diesen Gründen wird die Verabreichung von Inhalationsanästhetika empfohlen".
In der Schweiz wird nach diesen SAMW-Richtlinien vorgegangen. Das heisst:
- es wird in der Regel keine Vollnarkose durchgeführt. Es werden z.B. keine Sedativa verwendet, was für eine Vollnarkose zwingend erforderlich wäre.
- es werden Substanzen verwendet, welche die spinalen Reflexe und die kardiozirkulatorischen Reaktionen unterdrücken (Fentanyl und Muskelrelaxantien)
- es werden in der Regel volatile Anästhetika eingesetzt, da diese eine organprotektive Wirkung haben. Diese Massnahme wird jedoch (noch?) nicht bei allen Organentnahmen angewandt, da kontrollierte Studien und Untersuchungsergebnisse, die diese Wirkung eindeutig belegen, bisher fehlen.

Fazit: In keinem der Schriften der SAMW, des BAG oder des EDI findet sich auch nur ein Hinweis darauf, dass die Narkose wegen Schmerzen empfohlen wird. Sie wird ausdrücklich empfohlen, um die spinalen Reflexe zu unterbinden.

Großbritannien

Im Jahr 2000 erschien in der britischen medizinischen Fachzeitschrift "Anesthesia" (Anasthesia 55: 105f) ein Artikel, der auch in D/A/CH lebhafte Diskussionen auslöste. Zwei britische Anästhesisten forderten für die Organentnahme generell eine Narkose mit sedierenden, schmerzhemmenden und muskelentspannenden Medikamenten. Dabei sollten die spinal ausgelöste Ausschüttung von Stresshormone (Katecholaminen) abgedämpft werden.[25] In einer gemeinsamen Erklärung vom 25.05.2001] wies die BÄK zusammen mit der DGN, der DGNC und der DGAI darauf hin, dass in Deutschland mit dem geltenden Gesamthirntod Hirntote keine Schmerzen wahrnehmen können. "Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahmen keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig. Die Tätigkeit eines Anästhesisten bei der Organentnahme – zu Maßnahmen wie zum Beispiel der künstlichen Beatmung, der Kontrolle der Herztätigkeit und des Kreislaufs sowie der notwendigen Ruhigstellung der Muskulatur – dient ausschließlich der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der zu entnehmenden Organe."[26]

Sonstiges

Physiologie

Fasertypen

Es gibt 2 Nervenfastern, die Schmerz registrieren:[27]

  • A-Delta-Fasern
    A-Delta-Fasern sind dünn und leiten scharfen, lokal begrenzten Schmerz zum Gehirn. Sie registrieren Verletzungen, die innerhalb von einem Millimeter Abstand zur Faser liegen. Damit kann die Verletzung sehr genau lokalisiert werden. A-Delta-Fasern besitzen eine Myelinscheide, die die Signalleitung beschleunigt.
  • C-Fasern
    C-Fasern besitzen keine Myelinscheide und lokalisieren den Schmerzreiz nur grob.

Formen von Schmerz

Je nach Ursache gibt es verschiedene Formen von Schmerz:[28]

  • neuropathischer Schmerz
    Der neuropathischer Schmerz geht auf eine Schädigung oder Fehlfunktion des Nervensystems zurück, nicht auf eine Verletzung. Ein schmerzleitender Nerv kann verletzt oder so oft stimuliert worden sein, dass er gewohnheitmsäßige Schmerzsignale an das Gehirn sendet. Auch können Schmerzneuronen im Cortex so sensibilisiert werden, dass sie auch ohne äußere Ursache Schmerzempfinden erzeugen.
  • neuralgischer Schmerz
    Beim neuralgischen Schmerz ist die Ursache meist eine Reizung des Nervus trigeminus (Drillingsnerv = V. Hirnnerv). Die Gesichtsneuralgie betrifft oft nur eine Gesichtshälfte und ist auf der Haut, in Mund oder Zähnen zu spüren. Sie kommt und geht unvorhersehbar und wird oft als stechend, tief verletztend, elektroschockartig oder einschließend beschrieben. Oft löst das Berühren bestimmter "Triggerpunkte" auf der Haut heftige Schmerzattacken aus. Betroffene leiden oft anhaltend wochen- oder monatelang und sind dann wieder für Monate oder Jahre schmerzfrei.
  • übertragener Schmerz
    Übertragener Schmerz tritt auf, wenn Nervenfasern aus Gebieten mit viel sensorischem Input (wie der Haut) zusammen mit solchen mit wenig sensorischem Input (wie den Eingeweiden) an derselben Stelle ins Rückenmark eintreten. Das Gehirn erwartet Input von den hochsensiblen Gebieten und lokalisiert den Schmerz falsch.

Das Gehirn

Schmerz ist für das Überleben so wichtig, dass er fast alle Hirnareale beschäftigt. Drei Schmerzzentren registrieren, beurteilen und lokalisieren Schmerzsignale. Außerdem planen das suppleentär-motorische Areal und der Motorcortex mögliche Ausweichbewegungen und führen sie aus. Teile des parietalen Cortex richten die Aufmerksamkeit auf die Bedrohung und verschiedene Teile des frontalen Cortex beteiligen sich daran, die Bedeutung des Schmerzes zu ergründen und was zu tun ist.
Eine körperliche Verletzung allein lässt uns noch keinen Schmerz fühlen. Er muss bewusst werden. Dies geschieht in verschiedenen Hirnarealen, die für Emotionen, Aufmerksamkeit und das Einschätzen von Bedeutung zuständig sind. Ihre Aktivität kann jedoch auch Schmerzempfinden ganz ohne Ursachen erzeugen.
Signale von Schmerz gelangen in verschiedene Hirnareale, in denen sie Neuronen aktivieren, die beständig den Zustand des Körpers überwachen. Zwei dieser Areale sind der somatosensorische Cortex (er ermittelt, aus welchem Körperteil der Schmerz kommt) und die Insel (die emotionale Bewertung des Schmerzes). Hinzu kommt der anteriore (vordere) cinguläre Cortex (ACC). Er scheint die emotionale Bedeutung des Schmerzes zu beurteilen, wie viel Aufmerksamkeit eine Verletzung verdient.[29]

Das Gehirn ist zwar verantwortlich für unsere Schmerzwahrnehmung, registriert aber selbst keinen Schmerz, weil im Gehirn keine Schmerzrepeptoren vorhanden sind. Daher können bei Operationen am Gehirn bei vollem Bewusstsein des Patienten durchgeführt werden. Sie können bei einer elektrischen Stimulierung bestimmter Areale selbst berichten, was sie erleben. Dies hilft dem Chirurgen, Hirnareale mit entscheidenden Funktionen zu orten. So kann er sich entsprechend vorsichtig z.B. zu einem Tumor vorarbeiten, ohne dabei wichtiges, gesundes Hirngewebe zu zerstören.[30]

Vor der Geburt

Eine normale Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Nach 26 Wochen sind die Nervenstränge, die Schmerzreize zur Hirnrinde des Fetus leiten, ausgebildet. Erst dann können die Schmerzreize von der Haut bis in die Hirnareale des Kindes gelangen. Ob sie damit aber auch bis ins Bewusstsein vordringen, steht noch nicht fest. Bewusstes Schmerzempfinden ist wahrscheinlich erst bei Frühgeburten nach der 29. bzw. 30. Schwangerschaftswoche möglich. Die Schmerzsensoren, die verästelten Ausläufer der Nervenzellen, liegen schon ab der siebten Schwangerschaftswoche in der Haut, und Rückenmarkreflexe sind ab der achten Woche vorhanden, so dass der Fetus auf Berührung mit der Nadel reagieren kann. Im Gegensatz zu dem, was die fanatischen Anhänger von Pro-Life behaupten, besagt das jedoch keineswegs, dass der Fetus bewusst Schmerz empfinden kann. Dazu müsste der Reiz erst in die Hirnrinde gelangen.[31]
Die Reaktionen eines Fetus auf Schmerzreize beruhen in dieser Phase ausschließlich auf Rückenmarksreflexen. Ein anenzaphales Kind (ein Kind ohne Großhirn) reagiert auf die gleiche Weise. Die Reaktion auf Schmerzreize verläuft bei ihm gerade deshalb so heftig und umfassend, - sie scheint den gesamten Körper mit einzubeziehen -, weil die Hirnrinde noch nicht ausgereift ist und den Rückenmarksreflex daher noch nicht auf ein normales Maß drosselt.

Die Verbindungen zwischen dem Thalamus und der kotikalen Ebene unterhalb der Hirnrinde bilden sich zwischen der 12. und 16. Schwangerschaftswoche aus. Die kortikale Ebene ist gleichsam das Wartezimmer für die Nervenfasern, die später, zwischen der 23. und 30. Woche, in die Hirnrinde hineinwachsen. Messungen der elektrischen Aktivität im Gehirn (EEG) und der Durchblutung der Hirnrinde zeigen sich bei Kindern, die ab der 25. bis 29. Schwangerschaftswoche zu früh geboren wurden, Reaktionen auf Schmerzreize. Die Schmerzreize kommen in dieser Phase also in der Hirnrinde an. Die Frage ist jedoch, ob die Hirnrinde schon reif genug ist, um den Schmerz bewusst wahrnehmen zu können. Das ist notwendig, um den Schmerz auch emotional zu empfinden.[32]

Aus zwei X-Chromosomen entsteht ein Mädchen, aus einem X- und einem Y-Chromosom ein Junge. Das Y-Chromosom des Jungen setzte einen Prozess in Gang, der zur Produktion des männlichen Hormons Testosteron führt. Je nachdem, ob Testosteron produziert wurde oder nicht, entwickeln sich die Geschlechtsorgane des Kindes zwischen der 6. und 12. Schwangerschaftwoche zu männlichen oder weiblichen. Denn im Gegensatz zu Mädchen produzieren Jungen in dieser Zeit eine hohe Konzentration von Testosteron. In dieser Phase wird unsere Genderidentität - das Gefühl, ein Mann oder eine Frau zu sein - unumkehrbar in den Hirnstrukturen verankert.[33]

Der Fall John-Joan-John veranschaulicht deutlich, wie mächtig die Genderidentität ist: Zwischen den Jahren 1960 und 1980 dachte man, ein Kind käme als unbeschriebenes Blatt zur Welt, dessen Verhalten von seinem Umfeld in eine männliche oder weibliche Richtung gelenkt werde. Wie sehr man sich damit irrte, zeigt der Fall John-Joan-John. Dem 17-monatigen John wurde wegen einer Vorhautverengung operiert. Durch einen Kunstfehler verlor er seinen Penis. So wurde beschlossen, zu seiner Verweiblichung auch gleich seine Hoden zu entfernen. Das Kind wurde als Mädchen gekleidet und behandelt. Es erhielt psychologische Betreuung von Prof. Money. Während der Pubertät wurde ihm Östrogene verabreicht. Money beschrieb diesen Fall als großartigen Erfolg. Doch als Erwachsene ließ sich Joan wieder in einen Mann umwandeln, heiratete und adoptierte mehrere Kinder. Das Beispiel John-Joan-John "zeigt, wie stark Testosteron bereits in der Gebärmutter unser Gehirn programmiert. Die operative Entfernung von Penis und Hoden, die psychologische Betreuung und die Verabreichung von Östrogen in der Pubertät konnten die Genderidentität des Kindes nicht verändern."[34]

Dass Testosteron tatsächlich für die Differenzierung unserer Geschlechtsorgane und unseres Gehirns in männlicher Richtung verantwortlich ist, belegt das Androgenunempfindlichkeitssyndrom. Menschen mit diesem genetischen Defekt produzieren zwar Testosteron, aber der Körper reagiert nicht darauf. Daher erhalten sowohll die äußeren Geschlechtsorgane als auch das Gehirn eine weibliche Prägung. Obwohl die Betroffenen genetisch Männer (XY) sind, werden sie zu heterosexuellen Frauen. Umgekehrt entwickelt sich bei Mädchen, die aufgrund einer Nebennierenerkrankung (kongenitale Nebennierenhyperplasie, CAH) bereits in der Gebärmutter einer hohen Testosterondosis ausgesetzt dind, die Klitoris so stark, dass sie, in Einzelfällen, beim Standesamt als 'männlich' gemeldet werden. Praktisch all diese Mädchen bekommen das weibliche Geschlecht zugewiesen. Aber bei zwei Prozent von ihnen zeigt sich später, dass sie in der Gebärmutter eine männliche Genderidentität ausgebildet haben.[34]

Anhang

Siehe auch

Hierzu siehe auch:

Quellen

Anmerkungen

  1. Wenn somit bei der Feststellung des Hirntodes bei der Auslösung dieses größtmöglichen Schmerzes keine Reaktion gekommen ist, warum sollte ein Hirntoter dann noch Schmerzen wahrnehmen? - Wenn die Wartezeit für den Nachweis der Irreversibilität nicht durch apparative Diagnostik verkürzt wird, ist diese Überprüfung der Trigeminus-Schmerz-Reaktion nach mind. 12 bzw. 72 Stunden zu wiederholen. Es gibt hier somit eine doppelte Sicherheit.
  2. Unter http://de.wikipedia.org/wiki/Schmerz#Schmerzleitung heißt es hierzu (Zugriff am 3.3.2014):
    Im Rückenmark kommt es einerseits zu Reflexverschaltungen, die eine Fluchtbewegung auslösen. Dabei ist der Schmerz noch nicht bewusst geworden (zum Beispiel reflexhaftes Zurückziehen der Hand, noch bevor die Berührung der heißen Herdplatte als schmerzhaft empfunden wurde).
  3. Das limbische System (Funktionseinheit des Gehirns) verarbeitet Emotionen und schafft Triebverhalten.
  4. Befindet sich z.B. der Mensch lebensbedrohlich auf der Flucht, nimmt er keinen Kratzer und Wunden wahr. Es geht um sein Überleben. Da spielen die Kratzer und Wunden keine Rolle. Ist er endlich in Sicherheit, fährt das limbische System die Schmerzgrenze wieder nach unten und nimmt zunächst die Wunden und später auch die Kratzer wahr. - Hierzu regt das limbische System über Hypophyse und Hypothalamus die Ausschüttung von körpereigenen Opiate (Endorphine) an. Die ausgeschütteten Endorphine können zwar gemessen werden, aber die genaue Wirkungsweise zum Anheben der Schmerzgrenze ist noch nicht geklärt (siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Endorphin#Physiologie).
  5. In D/A/CH gilt der Gesamthirntod als Hirntod, d.h. Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm müssen abgestorben sein. Schmerzwahrnehmung erfolgt jedoch im Großhirn. Dieses ist in D/A/CH tot. Damit ist Schmerzwahrnehmung unmöglich. - In den Ländern mit Hirnstammtod (z.B. Großbritannien, Polen) muss für Hirntod nur der Hirnstamm abgestorben sein. Damit können dort Hirntote noch teilweise funktionierendes Großhirn besitzen. Dieses kann Schmerzen wahrnehmen. Aus diesem Grunde fordern die Ärzte in diesen Ländern für sich, wie auch für alle Organspender, dass man ihnen bei der Organentnahme eine Vollnarkose gibt.
  6. Hierzu ein Zitat aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Adrenalin#Wirkungen Zugriff am 3.3.2014.
    Adrenalin ist ein Stresshormon und schafft als solches die Voraussetzungen für die rasche Bereitstellung von Energiereserven, die in gefährlichen Situationen das Überleben sichern sollen (Kampf oder Flucht).
  7. Nervenzellen, die die Information Schmerzreiz weiterleiten.
  8. In Ruhe wird jeder Schmerz an das Gehirn weitergeleitet. In einer lebensgefährlichen Situation (z.B. Kampf auf Leben und Tod) werden auch große Schmerzen nicht wahrgenommen, weil es jetzt um das Leben an sich geht.
  9. Prof. Dr. med. Eberhard Götz
    Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anaesthesiologie und Intensivmedizin
    Prof. Dr. med. Falk Oppel
    1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie
    Prof. Dr. med. Werner Hacke
    1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe
    Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages
    Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Sewing
    Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer
  10. Die Schrift trägt kein Datum, aber auf Seite 3 den Hinweis "Das Universitätsspital Genf (HUG) hat seit Januar 2012 ein Programm ...". Somit muss diese Schrift nach Januar 2012 erstellt worden sein.

Einzelnachweise

  1. Henning Beck, Sofia Anastasiadou, Christopher Meyer zu Reckendorf: Faszinierendes Gehirn. Eine bebilderte Reise in die Welt der Nervenzellen. Heidelberg 2016, 176.
  2. http://de.wikipedia.org/wiki/Schmerz#Schmerzleitung Zugriff am 3.3.2014.
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Adrenalin#Wirkungen Zugriff am 3.3.2014.
  4. Niels Bierbaumer, Robert F. Schmidt: Wachen, Aufmerksamkeit und Schlafen. In: Robert F. Schmidt, Gerhard Thews (Hg.): Physiologie des Menschen. Berlin 1990, 236f.
  5. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Auflage. Neu-Isenburg 2001, 31.
  6. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Auflage. Neu-Isenburg 2001, 62.
  7. Martin Trepel: Neuroanatomie. Struktur und Funktion. 7. Auflage. München 2017, 228.
  8. http://www.schmerzkreis.net/chronische-schmerzen.html Zugriff am 11.8.2015.
  9. https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/was-passiert-in-unserem-kopf-wenn-wir-schmerzen-haben Zugriff am 1.8.2015.
  10. Anne Nicklas: In vivo-Untersuchungen zu strukturellen Gehirnveränderungen bei chronischem lumbalem Rückenschmerz mittels Voxel-basierter Morphometrie (VBM). Köln 2013. Im Internet unter: https://repository.publisso.de/resource/frl:5371347-1/data Zugriff am 8.2.2016.
  11. a b Martin Trepel: Neuroanatomie. Struktur und Funktion. 7. Auflage. München 2017, 96.
  12. Martin Trepel: Neuroanatomie. Struktur und Funktion. 7. Auflage. München 2017, 228.
  13. Bernd-Alexander Gebhard Hock: Die Darstellung von Opiatrezeptoren im menschlichen Gehirn mittels Diprenorphin. München 2006, 18. Im Internet unter: https://mediatum.ub.tum.de/doc/625103/625103.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  14. Siehe: Verena Kollmann-Fakler: Prognosekriterien und Outcome der hypoxischen Hirnschädigung nach Herz-Kreislauf-Stillstand. München 2011, 51. Im Internet unter: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/12629/1/Kollmann_Fakler_Verena.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  15. Dirk Borchers: Diagnostik und konservative Behandlungsstrategien beim chronischen Gesichtsschmerz. Bochum 2002, 16. Im Internet unter: http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/BorchersDirk/diss.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  16. Peyman Hadjar: Retrospektive Studie zur mikrovaskulären Dekompression des Nervus trigeminus bei Patienten über 65 Jahren. Hannover 2009, 3. Im Internet unter: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/binary/DYWQ7XXQFVPC2HA6FCRBJMF3KT3OOAPL/full/1.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  17. Raphaela Cornelia Borowka: Operative Therapie der Trigeminusneuralgie im höheren Lebensalter. Hamburg 2009, 70. Im Internet unter: http://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2009/4388/pdf/DoktorarbeitBorowkaR05112009.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  18. http://de.wikipedia.org/wiki/Trigeminus#Trigeminusneuralgie Zugriff am 3.3.2014.
  19. Bei ihnen allen erfolgte der Zugriff am 11.8.2015:
  20. Rita Carter: Das Gehirn. Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. München 2010, 104.
  21. Kathrin Riedlinger: Der Zusammenhang zwischen Temporomandibulärer Dysfunktion und Schmerzen im Bewegungssystem. München 2008, 8. Im Internet unter: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/9256/1/Riedlinger_Kathrin.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  22. Helena Dohmann: Schmerzwahrnehmung und Schmerzempfindung bei Progressiver Supranukleärer Blickparese (PSP). Mahrburg 2013. Im Internet unter: http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2013/0132/pdf/dpsp.pdf Zugriff am 8.2.2016.
  23. Henning Beck, Sofia Anastasiadou, Christopher Meyer zu Reckendorf: Faszinierendes Gehirn. Eine bebilderte Reise in die Welt der Nervenzellen. Heidelberg 2016, 177.
  24. http://www.samw.ch/dms/de/Publikationen/Factsheets/d_TxG_Hirntod.pdf Zugriff am 3.3.2014.
  25. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Auflage. Neu-Isenburg 2001, 64.
  26. https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=27351 Zugriff am 2.3.2018.
  27. Rita Carter: Das Gehirn. Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. München 2010, 105.
  28. Rita Carter: Das Gehirn. Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. München 2010, 105.
  29. Rita Carter: Das Gehirn. Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. München 2010, 106.
  30. Rita Carter: Das Gehirn. Anatomie, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis, Bewusstsein, Störungen. München 2010, 107.
  31. Dick Swaab: Wir sind unser Gehirn. Wie wir denken, leiden und lieben. München 2010, 80.
  32. Dick Swaab: Wir sind unser Gehirn. Wie wir denken, leiden und lieben. München 2010, 81.
  33. Dick Swaab: Wir sind unser Gehirn. Wie wir denken, leiden und lieben. München 2010, 87f.
  34. a b Dick Swaab: Wir sind unser Gehirn. Wie wir denken, leiden und lieben. München 2010, 89.